Q2/2019 - International Telecommunication Union (ITU)
ITU Council, Genf, 10. - 20 Juni 2019
Bei der Jahrestagung des ITU-Rates (ITU Council), des höchsten Gremiums der ITU zwischen den alle vier Jahre stattfindenden Vollversammlungen (Plenipotentiary/ITU-PP), wurden im Juni 2019 eine Reihe von Beschlüssen gefasst, die sich auch mit Internet Governance befassen. Das betrifft insbesondere die beiden Resolutionen zur Tätigkeit der ITU Council Working Groups zu WSIS (CWG WSIS&SDG) und zu Internet Related Public Policy Issues (CWG-Internet) sowie die Resolution zur Rolle der „Dedicated Group on Identifying Internet-related Public Policy Issues“ (DC). Vor allem die Resolution zur Rolle der „Dedicated Group“ enthält eine Reihe von Elementen, die das Potential haben, den in den letzten Jahren eingefrorenen Konflikt zwischen ICANN und der ITU neu aufflammen zu lassen. Zwar hat sich in den letzten Jahren, insbesondere nach der IANA-Transition im Jahr 2016, das Verhältnis zwischen beiden Institutionen weitgehend entspannt – ICANN ist im Juni 2019 als Sektor-Member in die ITU-D aufgenommen worden. Diese Entspannung bedeutet aber nicht, dass einige ITU-Mitgliedsstaaten ihre Ambitionen aufgegeben haben, die ITU zu einer Art Internet-UNO umzugestalten.
Die „Dedicated Group on Identifying Internet related Public Policy Issues“ ist eine Unterarbeitsgruppe der ITU Council Working Group on International Internet Related Public Policy Issues (CWG-Internet). In der CWG-Internet schwelt seit Jahren ein Konflikt über die Umsetzung des relativ vage formulierten Mandats dieser Arbeitsgruppe. Einige ITU-Mitglieder, wie Saudi-Arabien und Russland, haben immer wieder versucht über die CWG-Internet Prozesse zu initiieren, die auf eine Erweiterung der Zuständigkeit der ITU für das Internet zielen. Das schließt sowohl das Management der kritischen Internet Ressourcen (Domainnamen und IP-Adressen) als auch das Thema Cybersicherheit ein. Die entsprechenden Vorschläge fanden jedoch bislang keine Mehrheit. Auch die letzte ITU-Vollversammlung im Oktober 2018 in Dubai führte zu keiner Erweiterung des ITU-Mandats. Insofern ist es etwas überraschend, dass der ITU-Rat am 20. Juni 2018 die Resolution 1305, zur Wiederbelebung der „Dedicated Group on Identifying Internet related Public Policy Issues“, verabschiedet hat. Die ITU Council Resolution 1305 fordert die ITU-Mitgliedsstaaten auf anzuerkennen, dass die ITU ein breites Mandat zur Behandlung von Internet-Fragen hat. Sie bezieht sich auf ITU-Resolutionen aus den Jahren zwischen 2006 und 2009, also der Hochzeit der Spannungen zwischen ITU und ICANN. Bezug genommen wird auch auf alle strittigen Paragraphen der WSIS-Tunis Agenda, einschließlich Paragraph 69 zu „enhanced cooperation“. Der ITU-Generalsekretär wird aufgefordert – im Rahmen des existierenden Budgets – eine erfolgreiche Arbeit der „Dedicated Group“ zu ermöglichen. Die Liste, die die DC nach Annex 1 der ITU Council Resolution 1305 abarbeiten soll, enthält 13 Themen und umfasst nahezu alle strittigen Internet Governance Themen:
- Multilingualization of the Internet Including Internationalized (multilingual) Domain Names,
- International Internet Connectivity
- International public policy issues pertaining to the Internet and the management of Internet resources, including domain names and addresses
- The security, safety, continuity, sustainability, and robustness of the Internet
- Combating Cybercrime
- Dealing effectively with spam
- Issues pertaining to the use and misuse of the Internet
- Availability, affordability, reliability, and quality of service, especially in the developing world
- Contributing to capacity building for Internet governance in developing countries
- Developmental aspects of the Internet
- Respect for privacy and the protection of personal information and data
- Protecting children and young people from abuse and exploitation
- OTT[1]
Welche Konsequenzen diese Resolution für die zukünftige Rolle der ITU in der globalen Internet-Diskussion haben wird, ist schwer abzuschätzen. Die Resolution beinhaltet jedoch ein erhebliches politisches Konfliktpotential.
Die Resolution 1336 (20. Juni 2019) zur CWG-Internet ist im Wesentlichen eine Fortschreibung des existierenden Mandats. Ein seit Jahren ungelöstes Problem über die Beteiligung von nicht-staatlichen Akteuren an den CWG-Internet-Treffen wurde nicht grundsätzlich beigelegt. Immerhin aber wurden in den neuen Prozedurregeln die Verfahren präzisiert, wie nicht-staatliche Akteure sich zu den in der CWG-Internet diskutierten Themen einbringen können. Die CWG-Internet ist demnach verpflichtet, online und offline Konsultationen mit allen Stakeholdern durchzuführen, Remote Participation zu ermöglichen und die Diskussion zu transkribieren. „Relevanter Input“ von diesen Konsultationen wird dem geschlossenen Treffen der CWG-Internet zugänglich gemacht, wobei es kein Verfahren gibt um zu bestimmen, was die CWG-Internet als „relevanten Input“ ansieht und wie sie mit diesem Input umzugehen hat. In den letzten Jahren konnte sich die CWG-Internet nicht einmal auf ein Thema für die offenen Konsultationen einigen.
Die Resolution 1332 (20. Juni 2019) zur Rolle der ITU bei der Umsetzung der WSIS-Beschlüsse und der 2030 Agenda zur nachhaltigen Entwicklung (CWG-WSIS&SDG) ist gleichfalls im Wesentlichen eine Fortschreibung des bereits existierenden Mandats. Verstärkt wird die Verschränkung von WSIS und SDGs. Die ITU soll dabei eine führende Rolle spielen auch über die von ihr entwickelten Formate wie das jährliche WSIS-Forum, die Verleihung des WSIS-Preises, den Ausbau der WSIS-Datenbank (WSIS-Stocktaking and WSIS-Measurement), der Welttag zur Telekommunikation und Informationsgesellschaft (WTISD), die WSIS&SDG-Matrix, der WSIS Trust Fund etc. Vor allem Entwicklungsländer sollen stärker in die entsprechenden WSIS- und SDG-Aktivitäten eingebunden werden, auch über die Initiative „Connect 2030“. Die CWG WSIS&SDG wird aufgefordert, bis zum Jahr 2022, d.h. bis zur nächsten ITU-Vollversammlung, einen umfassenden Status-Bericht zu erstellen.
Der ITU-Rat verabschiedete auch den Arbeitsplan bis zur nächsten ITU-Vollversammlung, die im Herbst 2022 in Bukarest stattfinden wird.
- Eine wichtige Entscheidung ist der Beschluss, 2021 das 6. World Telecommunication/ICT Policy Forum (WTPF) in Genf zu veranstalten. Die ITU-WTPF-Foren sind hochrangige politische Foren, die sogenannte „Opinions“ verabschieden, die nicht unerheblichen Einfluss auf Entscheidungen der ITU-Vollversammlung haben. Sie finden in unregelmäßigen Abständen statt. Das 5. WTPF fand 2013 in Genf zum Thema „International Internet-related public policy matters“ statt und führte zu heftigen internationalen Konterversen, die vor allem das Verhältnis von ICANN und ITU sowie generell die Rolle der UNO im Bereich Internet Governance betrafen. Das Thema für das 6. WTPF im Jahr 2021 ist „Policies for mobilizing new and emerging Telecommunication and ICT services for sustainable development“. Diskutiert werden sollen auf dem Forum u.a. Themen wie künstliche Intelligenz, Internet der Dinge, 5G, Big Data und OTT.
- Andere wichtige ITU-Konferenzen der nächsten Jahre sind die World Telecommnunication Development Conference (WTDC, Addis Abeba, 2021) und die World Telecommunication Standardization Assembly (WTSA, Hyderabad, 2020). Die Diskussion um die Durchführung einer Überprüfungskonferenz zu den International Telecommunications Regulations (ITRs) der gescheiterten WCIT-Konferenz von 2012 in Dubai wurde weiter hinausgeschoben. Die eingesetzte Expertengruppe (EC-ITR) soll jährliche einmal tagen und der nächsten ITU-Vollversammlung einen Bericht mit Empfehlungen für das weitere Vorgehen unterbreiten.
AI for Good Global Summit, Genf, 28. - 31. Mai 2019
Der 3. ITU Gipfel zur künstlichen Intelligenz (AI for Good Global Summit) fand vom 28. zum 31. Mai 2019 in Genf statt. Auf der viertägigen Konferenz wurde ein breites Spektrum von technischen, politischen, rechtlichen und ökonomischen Themen besprochen. Platinum Sponsor und strategischer Partner der ITU-Konferenz war Microsoft. Auf der Konferenz wurde eine neue Initiative unter dem Namen „AI-Commons“ gestartet[2]. Diese Initiative soll den Austausch von Erfahrungen, Daten, Wissen und Herangehensweisen an die Entwicklung und den Einsatz von künstlicher Intelligenz fördern. Insbesondere soll die Kommunikation zwischen Entwicklern, Investoren, Anwendern und Nutzern künstlicher Intelligenz gefördert werden. Die ITU versucht seit 2017 sich als die führende UN-Organisation beim Thema künstliche Intelligenz zu etablieren. Der vierte „AI for Good Global Summit“ findet vom 4. bis 8. Mai 2020 in Genf statt.
WSIS-Forum, Genf, 08. - 12. April 2019
Das von der ITU veranstaltete WSIS-Forum fand 2019 bereits zum zehnten Mal statt[3]. Es hat sich immer mehr zu einer Parallelveranstaltung zum Internet Governance Forum (IGF) entwickelt. Beim WSIS-Forum 2019 gab es rund 300 Workshops mit 2.000 Teilnehmern aus über 120 Ländern, darunter viele Minister, vor allem aus Entwicklungsländern.
- Ursprünglich gedacht als eine Veranstaltung, die die Umsetzung der WSIS-Aktionslinien besprechen sollte, hat sich das WSIS-Forum thematisch auf nahezu alle Internet-Themen ausgebreitet. Auch prozedural und strukturell hat das WSIS-Forum weitgehend das IGF kopiert. Das Vorbereitungsprozedere mit Call for Proposals und öffentlichen Konsultationen wurde ebenso vom IGF kopiert wie Remote Participation und Transkribierung der Diskussion. Neu im Jahr 2019 ist, dass das WSIS Forum jetzt auch in den fünf UN-Regionen veranstaltet werden soll, womit auch die NRI-Initiative des IGF (nationale und regionale IGFs) kopiert wird. Die ITU kann dabei auf die fünf regionalen UN-Entwicklungskommissionen zurückgreifen. Für 2019/2020 wurde die UNESCAP (United Nations Economic and Social Commission for Asia and the Pacific) als Chair des neuen „WSIS UN Regional Commissions Committee“ berufen. Die ITU nutzt auch ihren Vorsitz in der UNGIS (United Nations Group on the Information Society) um generell die Rolle der UN bei der Behandlung von Internet-Themen zu stärken.
- Das WSIS-Forum findet mittlerweile auch Erwähnung und Unterstützung in allgemeinen Dokumenten der UN (UNCTAD-Resolution, Genf, Mai 2019) und der G20 (G20-Digitalministertreffen, Tsukuba, Juni 2019). Die ITU plant mit dem WSIS-Forum bereits weit in die 2020er Jahre. 2020 soll das WSIS-Forum mit einer hochrangigen Regierungskonferenz zum 15. Jahrestag der Verabschiedung der Tunis Agenda verbunden werden. 2021 soll das von der ITU organisierte „6th World Telecommunication Policy Forum“ (WTPF) back to back zum WSIS-Forum in Genf stattfinden. Hauptsponsoren des WSIS-Forums sind die Regierungen der Vereinten Arabischen Emirate (VAE) und von Saudi-Arabien.