Q1/2020 - Vereinte Nationen
Rede von UN-Generalsekretär António Guterres, 22. Januar 2020, New York
Am 22. Januar 2020 hielt UN-Generalsekretär António Guterres eine Grundsatzrede vor der UN-Vollversammlung zu den Prioritäten der UNO im Jahr 2020 und zur Vorbereitung des 75. Jahrestages der Vereinten Nationen. Guterres benannte vier große Problemfelder, denen sich die UN in der neuen Dekade stellen muss: Kriege, Klimawandel, Entwicklung und die digitale Revolution[1].
Hinsichtlich der „digitalen Revolution“ beschäftigte sich Guterres ausführlich mit der „dark side of the digital world.“ Einerseits hätte die 4. Industrielle Revolution enorme Möglichkeiten zur Lösung vieler Menschheitsprobleme hervorgebracht. Andererseits gäbe es einen dramatisch wachsenden Missbrauch dieser Möglichkeiten mit negativen Konsequenzen für das friedliche Zusammenleben der Völker, die Zukunft der Arbeit und den Schutz der Menschenrechte[2].
Das World Wide Web dürfe nicht zu einem „World Wild West“ werden. Er bezifferte den Schaden, den Cyberkriminalität im Jahr 2021 verursachen wird, auf sechs Billionen US-Dollar. Es drohe die Gefahr einer Fragmentierung des Internet, die einher gehen könnte mit der Missachtung von Menschenrechten und einer Militarisierung des Cyberspace. Mit einem nachdrücklichen Appell wandte sich Guterres an die 193 UN-Mitgliedsstaaten, der Entwicklung und Anwendung künstlicher Intelligenz ethische Leitlinien zu Grunde zu legen. Internet-basierte Waffensysteme wie Killerroboter müssten verboten werden. „Ban lethal autonomous weapons now,“ sagte Guterres.
Guterres bezeichnete die UN an als eine „maßgeschneiderte Plattform zur Diskussion der internet-bezogenen politischen Probleme“, auf der sich sowohl staatliche als auch nicht-staatliche Stakeholder über „neue Protokolle, Normen, rote Linien und flexible regulatorische Rahmenwerke“ austauschen könnten. Manche der neuen Internet-Probleme würden neue völkerrechtlich verbindliche Instrumente benötigen, für andere reichten möglicherweise freiwillige Verpflichtungen oder der Austausch von „Best Practice“. In diesem Zusammenhang würdigte Guterres das Internet Governance Forum (IGF), dessen Rolle gestärkt und dessen Struktur entwickelt werden müsse. Positiv bewertete er die ersten Fortschritte der beiden UN-Verhandlungsgruppen zur Cybersicherheit (OEWG und UN-GGE). Guterres bezog sich auf die Empfehlungen der von ihm eingesetzten „Hochrangigen Gruppe zur digitalen Zusammenarbeit“ (HLP). Die Gruppe unter Leitung von Melinda Gates (USA) und Jack Ma (China) hatte u.a. vorgeschlagen, neue Instrumente und Mechanismen zu entwickeln, um den Herausforderungen des „Zeitalters der digitalen wechselseitigen Abhängigkeit in einer vernetzten Welt“ gerecht zu werden. Guterres kündigte an, bis Mai 2020 eine „Roadmap for Digital Cooperation“ vorzulegen.
Sitzung des UN-Sicherheitsrates zur Cyberangriffen gegen Georgien, 5. März 2020, New York
Erstmalig wurde bei einer Sitzung des UN-Sicherheitsrates das Thema „Cyberangriffe“ auf die Tagesordnung gesetzt[3]. Die Regierung Georgiens hatte sich nach einem Angriff auf Webseiten ihrer Ministerien vom Oktober 2019 mit einem Schreiben vom Februar 2020 an den UN-Sicherheitsrat mit der Bitte um Hilfe gewandt. Georgien ist nicht Mitglied des UN-Sicherheitsrates. Am 5. März 2020 hatten daraufhin unter dem Tagesordnungspunkt „Any Other Business“ die Regierungen der USA, Großbritanniens und Estlands als Mitglieder des UN-Sicherheitsrates den Fall angesprochen und in einer Erklärung den russischen militärischen Geheimdienst GRU für den Angriff verantwortlich gemacht. Solch ein Verhalten Russlands stünde im Widerspruch zu den russischen Initiativen zur Stärkung von Cybersicherheit, wie sie im 1. Ausschuss der UN-Vollversammlung und den Verhandlungsgruppen der OEWG und der UN-GGE vorgetragen werden. Eine Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt gab es nicht. Es wurde auch keine Entschließung des UN-Sicherheitsrates dazu beantragt.
Umsetzung des Berichts des UN „High Level Panels on Digital Cooperation“ (HLP), Januar - März 2020
Die Umsetzung der Empfehlungen des High Level Panels on Digital Cooperation (HLP) wird von Fabrizio Hochschild-Drummond, Sonderberater des UN-Generalsekretärs zur Vorbereitung der Feierlichkeiten zum 75. Jahrestag der Vereinten Nationen, geleitet. Das HLP hatte empfohlen, den Jahrestag am 24. Oktober 2020 zu nutzen zur Verabschiedung eines „Global Commitment on Digital Cooperation“ durch die UN-Vollversammlung. Daneben hatte das Panel zehn weitere Empfehlungen gegeben, die im Jahr 2020 schrittweise umgesetzt werden sollen.
Auftakt des HLP-Follow-up war eine von Hochschild moderierte Plenarsitzung während des Internet Governance Forums (IGF) in Berlin am 26. November 2019. Als Ergebnis dieser Diskussion wurden acht Arbeitsgruppen (Roundtables) gebildet, die in einem offenen, und transparenten Diskussionsprozess unter Einbeziehung aller Stakeholder (Key Constituents) Vorschläge zur Umsetzung der HLP-Empfehlungen erarbeiten sollen. Jede der Arbeitsgruppen wird von zwei oder drei sogenannten „Champions“ geleitet.
- Global Connectivity (Uganda, ITU, UNICEF)
- Digital Public Goods (Norwegen, Sierra Leone, iSPIRIT, UNICEF, UN Global Pulse)
- Digital Inclusion and Data (Mexico, UN Women)
- Digital Help Desks (ITU, UNDP)
- Digital Human Rights (Korea, EU, Access Now, OHCHR)
- Artificial Intelligence (Finnland, Frankreich, FLI, UN Global Pulse, Office Hochschild
- Digital Trust and Security (Estland, Niederlande, Microsoft, UNODA, Office Hochschild)
- Digital Cooperation Architecture (Deutschland, Vereinigte Arabische Emirate, Office Hochschild)
Der Vorschlag zur Verabschiedung eines „Global Commitment on Digital Cooperation“ gehört wie der Vorschlag zur Schaffung eines erweiterten Mechanismus für die digitale Zusammenarbeit (u.a. IGF+) zum Mandat der Arbeitsgruppe „Digital Cooperation Architecture“, die sich mit den Empfehlungen 5A und 5B des High Level Panels befasst.
Die von der UN für diese Arbeitsgruppe eingesetzten Champions sind die Regierungen Deutschlands und der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) sowie das Büro des UN-Sonderberaters Fabrizio Hochschild. Zur engeren Arbeitsgruppe gehören rund 25 weitere Teilnehmer (Key Constituencies), darunter sieben Regierungen und sechs zwischenstaatliche Organisationen, aber auch ICANN und ISOC[4].
Die deutsche Bundesregierung und die VAE haben eine eigene „5A/B-Roadmap“ aufgelegt. Diese soll bis Ende Juni 2020 in die Verabschiedung eines „Opinion Papers“ münden.
Auftakt der Diskussion bildete ein virtueller Roundtable noch im Dezember 2019, sowie eine Präsentation beim Treffen der EU High Level Working Group on Internet Governance (HLIG) in Brüssel im Januar 2020. Bei dem HLIG-Meeting wurde ein strukturierter Fragenkatalog präsentiert. Ein „Call for Ideas“ wurde publiziert. Bereits geplante Internet-Konferenzen – wie FOC und EURODIG - sollen genutzt werden für spezielle HLP-5A/B-Roundtables. Am 20. Juni 2020 ist ein „Global Citizen Dialogue on the Digital Cooperation Architecture“ mit Bürgern und Stakeholdern in über 50 Ländern vorgesehen. Dieses Projekt wird vom französischen Netzwerk „Missions Publiques“ organisiert[5]. Seitens der Bundesregierung sind das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie und das Auswärtige Amt zuständig. Bis Ende März 2020 waren rund 20 Beiträge eingegangen, darunter Stellungnahmen von sechs Regierungen[6].
Es bleibt abzuwarten, inwieweit die Corona-Krise diesen Zeitplan durcheinanderbringt. Als möglicherweise problematisch erweist sich auch ein nicht synchronisierter Zeitplan zwischen der Erarbeitung der „Opinion-Papers“ der „HLP-Roundtables“ (bis Ende Juni 2020) und der „Roadmap for Digital Cooperation“ des UN-Generalsekretärs (bis Mitte Mai 2020).