Q3/2020 - Vereinte Nationen
UN-Sicherheitsrat (Aria-Format) zu Cyberangriffen auf medizinischen Einrichtungen, 26. August 2020 (virtuell)
Am 26. August 2020 veranstaltete der UN-Sicherheitsrat ein weiteres „Arria Formula Meeting“ zum Thema Cybersicherheit. Anberaumt hatte das Treffen Indonesien, im August 2020 Präsident des UN-Sicherheitsrates[1]. Thema der dreistündigen virtuellen Sitzung waren Cyberangriffe auf kritische Infrastrukturen, insbesondere auf medizinische Einrichtungen, vor dem Hintergrund von Covid-19. Das Treffen endete ohne konkrete Resultate. Es wurde zu einer Schaubühne wechselseitiger Vorwürfe zwischen den Cybergroßmächten.
Der stellvertretende UN-Generalsekretär für humanitäre Angelegenheiten, Ramesh Rajasingham, verwies in seiner Eröffnungsansprache auf zahlreiche Cyberattacken auf Krankenhäuser und Gesundheitsbehörden während der Pandemie. Er zitierte Beschlüsse der UN-Vollversammlung, die die Gültigkeit der völkerrechtlichen Normen auch für den Cyberspace bekräftigen und unterstützte Initiativen, eine gesonderte Norm zum Schutz von medizinischen Einrichtungen vor Angriffen aus dem Cyberspace auszuarbeiten[2].
Der USA-Vertreter Rodney Hunter prangerte Angriffe auf medizinische Einrichtungen an und forderte Konsequenzen für Staaten, die sich verantwortungslos verhalten[3].
Der russische Vertreter Wassili Nebensja forderte, nicht nur Angriffe auf medizinische Einrichtungen zu verurteilen. Die UNO müsse gegen alle Cyberangriffe auf kritische Infrastrukturen vorgehen und Konzepte zurückweisen, die präventive Cyberangriffe legitimieren. Der Cyberspace dürfe nur zu friedlichen Zwecken genutzt werden. Cyberkrieg sollte nicht „reguliert“, sondern „verboten“ werden[4].
Der chinesische Vertreter Yao Shaojun verurteilte alle Attacken auf kritische Infrastrukturen und bedauerte, dass es immer wieder Staaten gäbe, die Cyberattacken gegen andere Länder legitimieren würden. Er bekräftigte das Recht eines jeden Staates, sich vor Angriffen, Bedrohungen und Sabotage aus dem Cyberspace zu schützen[5].
UN-Gipfeltreffen zum 75. Jahrestag der Vereinten Nationen, 21. September 2020 (virtuell)
Bei einem virtuellen UN-Gipfeltreffen aus Anlass des 75. Jahrestages der Vereinten Nationen wurde von den Staats- und Regierungschefs der 193 UN-Mitgliedsstaaten am 21. September 2020 eine Deklaration verabschiedet. In der Deklaration verpflichten sich die UN-Mitglieder u.a. zur „Verbesserung der digitalen Zusammenarbeit“. In Artikel 13 der UN-Deklaration heißt es, dass die Digitalisierung für die Menschheit nie gekannte Möglichkeiten eröffnet, aber auch enorme Missbrauchsmöglichkeiten geschaffen hat. Digitale Technologien können das Zusammenleben der Völker gefährden, Ungleichheit verschärfen und die Respektierung der Menschenrechte unterhöhlen. Das Thema „Vertrauen und Sicherheit im Cyberspace“ müsse Priorität in der Arbeit der UN erlangen und die UN-Mitglieder sollen dafür zu sorgen, dass die Digitalisierung zur Erreichung der nachhaltigen UN-Entwicklungsziele bis zum Jahr 2030 beiträgt. Die UN sei eine Diskussionsplattform für alle Stakeholder, um die digitale Zusammenarbeit zu entwickeln und Lösungen für die neuen Herausforderungen zu finden[6].
Generaldebatte zur 75. UN-Vollversammlung, September 2020 (virtuell)
Das Thema Cybersicherheit und digitale Kooperation spielte sowohl in dem virtuellen Gipfeltreffen zum 75. Jahrestag der Vereinten Nationen als auch in der Generaldebatte der 75. UN-Vollversammlung eine wichtige Rolle. UN-Generalsekretär Antonio Guterres warnte in seiner Eröffnungsansprache vor der „dunklen Seite des Cyberspace“ und machte auf die Gefahren eine „Cyberkonfrontation“ aufmerksam[7]. Beim virtuellen UN-Gipfeltreffen hatte sich Guterres für eine Stärkung des Multilateralismus eingesetzt[8]. US-Präsident Donald Trump und der chinesische Präsident Xi Jinping lieferten sich dort ein verbales Wortgefecht. Donald Trump machte China für die Covid-19-Krise verantwortlich. Xi Jinping argumentiert, dass die Covid-19-Krise die Welt zu mehr Multilateralismus zwingen würde[9]. China sei bereit, die Welt in eine „neue Ära“ das Multilateralismus zu führen. Der russische Präsident Wladimir Putin forderte eine intensivere globale Zusammenarbeit im Bereich von Cybersicherheit und die Beachtung der Normen des Völkerrechts bei der digitalen Zusammenarbeit[10].
Follow-up zur „Roadmap on Digital Cooperation“ des UN-Generalsekretärs, September 2020
Die am 11. Juni 2020 von UN-Generalsekretär António Guterres präsentierte „UN-Roadmap on Digital Cooperation“[11] hat eine umfassende Diskussion über die Fortentwicklung des globalen Internet-Governance-Ecosystems ausgelöst. Dabei geht es auch um den Ausbau des institutionellen Mechanismus.
Im Zusammenhang mit den Feierlichkeiten zum 75. Jahrestag der Vereinten Nationen fand am 23. September 2020 ein hochrangiger Roundtable zum Thema “Digital Cooperation: Action Today for Future Generations” statt. Die dreistündige virtuelle Veranstaltung wurde vom stellvertretenden UN-Generalsekretär Fabrizio Hochschild moderiert. 26 Experten präsentierten Video-Messages bzw. waren in einer Zoom-Livekonferenz zusammengeschaltet. Darunter waren die amtierenden oder ehemaligen Präsidenten der Schweiz (Simonetta Sommaruga), Athiopiens (Sahle-Work Zewde) und Estlands (Toomas Hendrik Ilves), die Ministerpräsidenten von Norwegen (Erna Solberg) und von Neuseeland (Jacinda Ardern) und der Innenminister Japans, Ryōta Takeda, der darauf hinwies, dass Japan 2023 Gastgeber des IGF sein wird. Unter den nicht-staatlichen Stakeholdern war vor allem die Wirtschaft stark vertreten. Statements kamen u.a. von Microsoft (CEO Brad Smith), Facebook (Präsidentin Sheryl Sandberg), Google (Vizepräsidentin Ruth Porat) und AliBaba (ehemaliger CEO Jack Ma), Vodafone und Fujitsu. Die OECD war mit ihrem Generalsekretär Ángel Gurría vertreten, die ITU mit Generalsekretär Houlin Zhao. Irene Khan, die seit dem 1. August 2020 Berichterstatterin für Meinungsfreiheit im Amt des UN-Hohen Kommissars für Menschenrechte ist, sprach ebenso wie Vertreter von zivilgesellschaftlichen Organisationen, der Global Broadband Commission, der Global Commission on Stability in Cyberspace (Samir Saran) und der Vater des World Wide Web und Präsident der World Wide Web Foundation, Tim Berners-Lee. Auch die schwedische Königin Sylvia präsentierte ein Statement[12]. Die Vielfalt der Beiträge beleuchteten einzelne Aspekte der „Roadmap on Digital Cooperation“ und kreisten um zwei Kernbotschaften: Eine funktionierende digitale Infrastruktur ist eine Grundvoraussetzung zur Erreichung der nachhaltigen Entwicklungsziele der UN (SDGs) bis zum Jahr 2030 und der Cyberspace muss ein Raum werden, in dem sich Internetnutzer und Unternehmen frei und sicher bewegen können. Eine gemeinschaftliche Schlusserklärung wurde nicht veröffentlicht.
Am 3. September präsentierten die Regierungen Deutschlands und der Vereinigten Arabischen Emirate ihr „Option Paper“ zu den Empfehlungen 5A/B des High-level Panels on Digital Cooperation (HLP)[13]. Das Option Paper enthält Empfehlungen zur Weiterentwicklung des institutionellen Mechanismus im Internet-Governance-Ecosystem. Das Option Paper spricht sich für die Empfehlung des HLP, das bestehende IGF zu stärken (IGF+), aus, regt aber an, Elemente der beiden anderen Vorschläge des HLP in ein reformiertes IGF aufzunehmen.
Eine Kernbotschaft des Option Papers ist, eine engere Verbindung zwischen dem „Discussion Layer“ (das IGF) und dem „Decision Layer“ (zwischenstaatliche Verhandlungen) im Internet Governance Ecosystem herzustellen, um nachhaltigere Ergebnisse bei der digitalen Zusammenarbeit zu erreichen (Cooperation Accelarator). Vorgeschlagen wird die Einführung eines Systems von „Liaisons“ zwischen dem IGF und entsprechenden zwischenstaatlichen Gremien.
Das Option Paper spricht sich auch aus für eine gestraffte Leitungsstruktur des MAG und die Stärkung des „High Level Governmental Segments“ sowie des „Parliamentarian Tracks“ als Teil eines IGF+ aus.
Das IGF selbst solle jedoch kein Verhandlungsgremium werden, einzelne Gruppen innerhalb des IGF wie die „Dynamic Coalitions“ oder die „Best Practice Fora“ können jedoch durchaus als „Policy Incubators“ fungieren und mit Ideen und Vorschläge entsprechende zwischenstaatliche Verhandlungen bereichern.
Unterstützt wird der Vorschlag zur Bestellung eines „Technology Envoy“ durch UN-Generalsekretär Antonio Guterres, wobei darauf hingewiesen wird, dass Überschneidungen, Dopplungen oder Konkurrenzsituationen vermieden werden müssten.
Ein „Multistakeholder High Level Body“ (MHLB), wie in der „Roadmap on Digital Cooperation“ vorgesehen, könnte die entsprechende Koordinierung mit der notwendigen Autorität und Legitimierung vornehmen.
UN-eGovernment Survey, 12. Juli 2020
Am 10. Juli 2020 veröffentlichte die UN ihren „Survey on E-Government“. Die Pandemie habe verdeutlicht, wie wichtig funktionierende digitale Dienstleistungen im öffentlichen Bereich sind. Der alle zwei Jahre publizierte Bericht enthält eine Übersicht über von Regierungen angebotenen digitalen Diensten sowie ein globales Ranking. Festgestellt wird, dass die globale digitale Spaltung sich nur langsam verringert. Der Survey basiert auf einem sich aus zahlreichen Faktoren zusammensetzenden „E-Government Development Index“ (EGDI). Als Fortschritt sei zu verzeichnen, dass 65 Prozent der UN-Staaten mittlerweile als „High“ oder „Very High“ auf dem EGDI-Index geführt werden. Das 2020-Ranking der 193 UN-Staaten wird angeführt von Dänemark, Korea und Estland. Auf den weiteren Plätzen folgen Finnland, Australien, Schweden, Großbritannien, Neuseeland, die USA, die Niederlande, Singapur, Island, Norwegen und Japan. Länder wie Bhutan, Bangladesh, Kambodscha, Mauritius, die Seychellen und Südafrika befinden sich unter den „Aufsteigern“ aus dem globalen Süden[14].