Q3/2021 - Vereinte Nationen
UN-Generalsekretär António Guterres, Our Common Agenda , 12. September 2021
Am Vorabend der 76. UN-Vollversammlung legte UN-Generalsekretär António Guterres am 12. September 2021 einen Bericht unter dem Titel „Our Common Agenda“ vor. Die Agenda enthält strategische Zielvorgaben für den Zeitraum bis 2030. Die Agenda umfasst insgesamt 12 Aktionsfelder, die nahezu alle durch die UN-Charta abgedeckte Bereiche, darunter auch Cyber- und Digitalthemen, betreffen. Guterres plant eine hochrangige Beratergruppe aus ehemaligen Staats- und Regierungschefs zu bilden, die Empfehlungen für die Veranstaltung eines UN-Zukunftsgipfel (UN Summit on the Future) im Jahre 2023 erarbeiten sollen. [1] 2023 jährt sich zum 65. Mal die Verabschiedung der UN-Menschenrechtsdeklaration.
- Im Bereich der digitalen Zusammenarbeit schlägt Guterres, aufbauend auf seiner „Roadmap for Digital Cooperation“ (Juni 2020), die Ausarbeitung eines neuen „Global Digital Compact“ vor. [2] Nach seinen Vorschlägen soll der „Compact“ die folgenden sieben Elemente enthalten:
- Connect all people to the Internet, including all schools;
- Avoid Internet fragmentation;
- Protect data;
- Apply human rights online;
- Introduce accountability criteria for discrimination and misleading content;
- Promote regulation of artificial intelligence;
- Digital commons as a global public good.
- Teil der „Common Agenda“ soll auch eine neue “Agenda for Peace“ sein. Diese Agenda sollte Maßnahmen zum Verbot von Cyberangriffen auf kritische Infrastrukturen, Mechanismen zur De-Eskalation bei cyberbasierten Risiken und Spannungen sowie Begrenzungen oder Verbote bei der Entwicklung und Anwendung autonomer Waffensysteme enthalten. [3]
- Im Bereich der Menschenrechte geht es Guterres zunächst um die Überwindung der digitalen Spaltung. Den drei Milliarden Menschen, die noch keinen Zugang zum Internet haben, müsste dies bis spätestens 2030 ermöglicht werden. Die durch das Internet geschaffenen neuen öffentlichen Räume seien als eine Art gemeinsames Erbe der Menschheit zu betrachten und als öffentliches Gut zu behandeln. Sie gelte es im Gemeinschaftsinteresse zu gestalten. Ein wichtiger Teil sei dabei die Bekämpfung von Fake News, Hate Speech und Lügen, die zunehmend die geistige Umwelt der Menschheit verschmutzen. Guterres fordert einen Verhaltenskodex für die Verbreitung von Information, einen „Code of conduct that promotes integrity in public information… With recent concerns about trust and mistrust linked to technology and the digital space, it is also time to understand, better regulate and manage our digital commons as a global public good." [4]
76. UN-Vollversammlung, 21. September 2021
Am 21. September 2021 begann die 76. UN-Vollversammlung. Zahlreiche Staats- und Regierungschefs äußerten sich bei ihren Reden auch zu den Themen Cybersicherheit, Digitalwirtschaft und Internet Governance.
- UN-Generalsekretär António Guterres warb in seiner Eröffnungsrede für die Umsetzung seiner „Roadmap for Digital Cooperation“. Noch hätten drei Milliarden Menschen keinen Zugang zum Internet. Diese digitale Spaltung gelte es zu überwinden. Die Digitalisierung hätte viele neue Möglichkeiten geschaffen, sei aber mit immer größeren Gefahren und Missbräuchen verbunden.
- Guterres kritisierte die immer weniger durchschaubare Vermarktung von persönlichen Daten. „Our behavior patterns are being commodified and sold like futures contracts. Our data is also being used to influence our perceptions and opinions. Governments and others can exploit it to control or manipulate people’s behaviour, violating human rights of individuals or groups, and undermining democracy. This is not science fiction. This is today’s reality.“
- Beim Thema Cybersicherheit wiederholte der UN-Generalsekretär seine Forderungen nach einem Verbot von autonomen Waffensystemen. Solche Systeme könnten selbständig Ziele suchen und Menschen töten. Er gab seiner Befürchtung Ausdruck, dass eine Cyberattacke zum Auslöser eines realen Krieges werden könnte und beklagte das Fehlen eines entsprechenden verbindlichen Rechtsrahmens, um solche möglichen Konflikte angemessen und in Übereinstimmung mit der UN-Charta zu regeln. [5]
- Der amerikanische Präsident Joe Biden sprach in seiner Rede ausführlich über die Möglichkeiten der Digitalisierung und die Gefahren von Cyberattacken. Neue Technologie könnten zur Befreiung von Menschen oder zu deren Unterdrückung eingesetzt werden. Die Zukunft aber gehöre denen, die die Menschenwürde an erste Stelle setzen und nicht auf ihr herumtrampeln. Autoritäre Regimes mögen denken, dass im 21. Jahrhundert das Ende der Demokratie bevorstehe. Das sei ein großer Irrtum. Biden machte deutlich, dass die USA ihre Cyberverteidigung auf den neuesten Stand gebracht haben und auf entsprechende Angriffe nachhaltig reagieren würden. Eine solches Herangehen sei in völliger Übereinstimmung mit den Zielen und Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen: „We’re hardening our critical infrastructure against cyberattacks, disrupting ransomware networks, and working to establish clear rules of the road for all nations as it relates to cyberspace. We reserve the right to respond decisively to cyberattacks that threaten our people, our allies, or our interests. Our approach is firmly grounded and fully consistent with the United Nations’ mission and the values we’ve agreed to when we drafted this Charter.“ Gleichzeitig unterstrich Biden, dass die USA kein Interesse daran haben, die Welt in neue, sich feindlich gegenüberstehenden Blöcke zu spalten. Die USA wollten keinen „kalten Krieg im Cyberspace“. [6]
- Der chinesische Präsident Xi Jinping warb in seiner Rede für einen „wahren Multilateralismus“. Die Welt sei groß genug, um verschiedene Modelle der Gesellschaftsentwicklung zu ermöglichen: „A world of peace and development should embrace civilizations of various forms, and must accommodate diverse paths to modernization.“ Demokratie sei kein Recht, das ein einzelnes Land für sich reklamieren könne. Militärische Interventionen zur Förderung einer sogenannten Demokratisierung würde nichts als Schaden anrichten. Die Welt sollte sich nicht in „kleinen Zirkeln“ organisieren. Das würde zu „Nullsummen-Spielen“ mit Gewinnern und Verlierern führen. Es gehe stattdessen darum, „Win-Win-Situationen“ zu schaffen. Das gelte auch für die digitale Zusammenarbeit und die Kooperation im Cyberspace. Dafür seien die Vereinten Nationen der beste Platz: „We must improve global governance and practice true multilateralism. In the world, there is only one international system, i.e. the international system with the United Nations at its core. There is only one international order, i.e. the international order underpinned by international law. And there is only one set of rules, i.e. the basic norms governing international relations underpinned by the purposes and principles of the U.N. Charter. The U.N. should hold high the banner of true multilateralism and serve as the central platform for countries to jointly safeguard universal security, share development achievements and chart the course for the future of the world. The U.N. should stay committed to ensuring a stable international order, increasing the representation and say of developing countries in international affairs, and taking the lead in advancing democracy and rule of law in international relations“. [7]
- Der russische Außenminister Sergei Lawrow warnte vor einer Militarisierung des Internet und einem Wettrüsten im Cyberspace. Die Vereinten Nationen seien der richtige Platz und die in der UN-Charta verankerten Völkerrechtsnormen wie Souveränität der Staaten und Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder seien die richtigen Grundlagen, um Normen für ein verantwortungsbewusstes Verhalten von Staaten im Cyberspace sowie eine rechtsverbindliche Konvention im Kampf gegen Cyberkriminalität auszuarbeiten. [8]
- Die Präsidentin von Estland Kersti Kaljulaid verwies in ihrer Rede vor der 76. UN-Vollversammlung vor allem auf die Möglichkeiten der Digitalisierung zur Förderung von Demokratie und Selbstbestimmung. Digitale Technologien sollten nicht repressiven Staaten helfen, effektiver zu werden. Daher sei eine Verständigung über ein regulatives Rahmenwerk – „Shared Framework“ – wichtig. Kaljulaid verwies auf die von Estland angestoßene Debatte im UN-Sicherheitsrat zur Cybersicherheit und auf das „Tallin Manual“, das mittlerweile als eine authentische Rechtsquelle zur Interpretation der Anwendung des Völkerrechts im Cyberspace anerkannt wird. Sie begrüßte die neuen UN-Diskussionen zu Cybersicherheit und Cyberkriminalität und setzte sich dafür ein, bei diesen Diskussionen nicht-staatliche Akteure aus der Wirtschaft, der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft angemessen einzubeziehen: „Discussions on cybersecurity and cybercrime must ensure that we make a concentrated effort to implement the rules of the road we already have.“ And she added: „We cannot go down this road without bringing companies and civil society along.“ [9]
- Der deutsche Präsident Frank-Walter Steinmeier ist in seiner Rede vor der 76. UN-Vollversammlung am 24. September 2021 auf die Themen Digitalisierung oder Cybersicherheit nicht eingegangen. [10]
Büro des UN-Technology Envoy, September 2021
Das Büro des von UN-Generalsekretär António Guterres im Januar 2021 eingesetzten „UN Envoy of Technology“ hat seine Aktivitäten schrittweise erweitert. Wichtigste Aktivität im 3. Quartal 2021 war die Serie von Multistakeholder-Rundtischgesprächen und Workshops, die die Eröffnungswoche der 76. UN-Vollversammlung begleiteten.
- Insgesamt fanden 23 solche Veranstaltungen statt. Dabei wurden nahezu alle in der „Roadmap for Digital Cooperation“ angesprochenen Themen erfasst. Die Konferenzserie war ein eindrucksvoller Beleg für die Nützlichkeit der Einbeziehung nicht-staatlicher Stakeholder in UN-Debatten zum Internet. Neben zivilgesellschaftlichen Organisationen wie Access Now, APC oder Global Digital Partner hatten sich auch zahlreiche Unternehmen wie Vodafone, Microsoft oder Facebook engagiert. Facebooks CEO Sheryl Sandberg, nahm persönlich an einem Workshop teil. Viele Workshops fanden in Kooperation mit UN-Organisationen wie UNESCO, ITU, FAO oder UNDP statt. Inwiefern die Berichte der 23 Workshops jedoch tatsächlich einfließen in die Verhandlungen der drei Ausschüsse der UN-Vollversammlung, die sich mit Internet-Themen befassen, bleibt abzuwarten. Es gibt kein formelles Verfahren, das Regierungen verpflichten würde, zu den Vorschlägen der Multistakeholder-Roundtables Stellung zu beziehen. [11]
- Das Büro des UN-Tech Envoy steht nach wie vor unter der kommissarischen Leitung von Maria-Francesca Spatolisano, stellvertretende Direktorin von UNDESA. UN-Generalsekretär António Guterres hatte im Januar 2021 den chilenischen Diplomaten Fabrizio Hochschild als seinen „UN-Technology Envoy“ berufen. Hochschild war Sekretär des UN-High-Level Panel on Digital Cooperation und leitete die Aktivitäten der UNO im Zusammenhang mit dem 75. Jahrestag der Vereinten Nationen im Jahr 2020. Nach gegen ihn erhobenen persönlichen Vorwürfen ließ Hochschild im Januar 2021 sein Amt ruhen. Der Fall wird noch immer von der UN-Veraltung geprüft.