Q4/2018 - International Telecommunication Union (ITU), Vollversammlung

Dubai, 29. Oktober - 16. November 2018

Die alle vier Jahre stattfindende ITU-Vollversammlung (Dubai, 29. Oktober bis 16. November 2018) endete trotz heftiger kontroverser Diskussionen in den verschiedenen Arbeitsgremien der Konferenz mit einem Konsensus. Das 360 Seiten umfassende Schlussdokument (Dubai Final Act) gibt der ITU eine Arbeitsgrundlage bis zur nächsten Vollversammlung im Jahr 2022. Damit hat sich die seit der letzten ITU-Vollversammlung (2014 in Busan) abzeichnende Tendenz in der ITU, bei kritischen Fragen einen „Mittelweg“ einzuschlagen, fortgesetzt. 2012 war es bei der ITU „World Conference on International Telecommunication“ (WCIT) erstmals in der über 150-jährigen Geschichte der ITU zu einer Spaltung gekommen, nachdem die Hälfte der ITU-Mitglieder die neu verhandelten „International Telcommunication Regulations“ (ITR) ablehnten, weil sie darin eine Gefahr sah, dass sich die ITU über ihr eng begrenztes Mandat hinausbewegt und Zuständigkeiten für den Bereich von Internet Governance beansprucht.

Im Vorfeld der Dubai-Konferenz gab es Befürchtungen, dass einige ITU-Mitgliedstaaten den Versuch unternehmen könnten, das Mandat der ITU auf Themenbereiche wie Cybersicherheit, Internet Governance oder künstliche Intelligenz auszuweiten, was auf eine grundsätzliche Ablehnung durch die westlichen Staaten gestoßen wäre. Das blieb aber aus. Zu Konferenzbeginn gab es keine Anträge, die auf eine Veränderung des in den beiden ITU-Grundsatzdokumenten (Constitution und Convention) verankerten Mandats der ITU gezielt hätten. Nichtsdestotrotz enthielten eine Reihe von Resolutionsentwürfen Punkte, die auf eine schleichende Mandatserweiterung zielten (mission creep). In den vierwöchigen Verhandlungen konnte aber zu allen Punkten ein „Mittelweg“ gefunden werden, der zwar nicht den Ausgangspositionen der jeweiligen Lager entsprach, mit denen aber alle leben konnten.  Der „Dubai Final Act“ enthält keine wesentlichen Veränderungen zur bisherigen Rolle der ITU im Internet Governance Ecosystem. Im Grunde wurde der „Status Quo“ bestätigt. Das betrifft sowohl Fragen zum strittigen Thema Internet Governance im engeren Sinn, als auch Probleme, die sich aus der Entwicklung neuer IT-Technologien ergeben (Cybersicherheit, künstliche Intelligenz, Internet der Dinge, Big Data etc.).

Eine wichtige Rolle bei einer Entkrampfung der ITU spielt die Tatsache, dass sich nach der IANA-Transition das Verhältnis zwischen ITU und ICANN weiter entspannt hat. Das liegt auch daran, dass ITU-Generalsekretär Houlin Zhao und ICANN-Präsident Göran Marby ein neues Vertrauensklima geschaffen haben, das auf wechselseitigem Respekt und einer verbesserten Kommunikation basiert. Houlin Zhao sprach auf der ICANN-Konferenz in Abu Dhabi im November 2017 zur Verabschiedung von Steve Crocker und nahm an dem High Level GAC Meeting von ICANN im Oktober 2018 in Barcelona teil. Als erster ICANN-Präsident wurde Göran Marby von der ITU eingeladen, eine Rede bei der Eröffnungszeremonie der ITU-Vollversammlung in Dubai im November 2018 zu halten.

Eine Folge dieser „Entspannungspolitik“ ist, dass die sieben der ITU-Resolutionen zum Thema Internet und WSIS in Dubai ohne große Veränderungen fortgeschrieben wurden. Vorschläge, die es bei vorherigen ITU-Vollversammlungen unter ITU-Generalsekretär Hamadou Toure gegeben hatte, wie z.B. die Schaffung einer eigenständigen ITU-Internet Registry zur IP-Adressenvergabe oder Kompetenzen der ITU für das Management von Länderdomains (ccTLD Registries) sowie for iDNs, blieben in Dubai aus. Zwar wird ICANN in den sogenannten ITU Internet-Resolutionen nach wie vor nur in Fußnoten erwähnt (wie IETF, ISOC und W3C), ICANN ist aber nicht mehr ein „Buzzword“ in den ITU-Verhandlungen. Die Rolle der ITU zu Themen, die in den Kompetenzbereich von ICANN fallen, begrenzt sich auf Studien, Informationsaustausch und die Entwicklung einer Zusammenarbeit („collaboration with relevant bodies“).

Diese Entspannung hat auch die Rahmenbedingungen verbessert für eine Diskussion, wie sich die ITU zu neuen Entwicklungen im Bereich von IT-Technologien positionieren soll. Die ITU hat in vielen dieser Bereiche besondere Expertise, insbesondere was die Entwicklung der Infrastruktur und der Telekommunikationsentwicklung in Entwicklungsländern betrifft. Aus dem WSIS-Prozess hat sie auch ein Mandat, sich um eine Reihe von Zielen aus dem WSIS Plan of Action (Genf, 2003) zu kümmern. Es ist daher natürlich, dass in Dubai auch die Rolle der ITU bei der Herstellung eines engen Zusammenhangs zwischen Aktivitäten zur Erreichung von WSIS-Zielen und den nachhaltigen Entwicklungsziele der UN (SDGs) diskutiert wurde.

  1. Gerade die Entwicklungsländer sehen sich zunehmend mit neuen Herausforderungen der digitalen Welt konfrontiert, auf die sie keine eigenen Antworten haben. Die meisten der neuen digitalen Dienste und Anwendungen, die eine erhebliche Auswirkungen auf nationale Politik und Wirtschaft in den Entwicklungsländern haben, werden von westlichen oder chinesischen Unternehmen angeboten. Die Entwicklungsländer, insbesondere in Afrika, suchen daher nach einer vertrauenswürdigen neutralen Stelle, wo sie sich Rat holen und Erfahrungen austauschen können. Themen wie „Over the Top Services (OTT), Smart Cities, Internet der Dinge, Big Data, künstliche Intelligenz etc., die u.a. in ITU-T Study Groups diskutiert werden, haben noch kein „natürliches zu Hause“ im System der internationalen Organisationen. Die ITU bietet sich für einige dieser Fragen, als eine mit Expertise ausgestattete sinnvolle Diskussionsplattform, an.
  2. In Dubai ging es nun darum, wie weit sich die ITU in solche neuen Bereiche hineinbegeben soll und wo sie an ihre, auch in der ITU-Verfassung definierten Grenze hinsichtlich einer Entscheidungskompetenz stößt bzw. wo sie in den Kompetenzbereich anderer Organisationen eindringt. Als Beispiel diente die Debatte zur Zukunft von „eHealth“. Für das in der digitalen Welt enorm an Bedeutung gewinnende Gesundheitsthema ist die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf zuständig. Die WHO hat aber keine Expertise im Bereich von IT-Technologien. Kritiker gaben zu bedenken, dass die ITU, wollte sie all diese neuen Probleme der Cyberwelt abdecken, zu einer „Digitalen Weltregierung“ oder einer „UNO des Internet“ mutieren würde. Das würde nicht nur unvereinbar mit der ITU-Verfassung sein, sondern auch die Balance im globalen Internet Governance Ecosystem durcheinanderbringen. Notwendig sei hingegen, neue innovative Formen der Arbeitsteilung zwischen internationalen Organisationen zu entwickeln. Eine solche erweiterte Kooperation, die notwendigerweise auch nicht-staatliche Institutionen und Organisationen einbeziehen müsste, ist aber nur in einer vertrauensvollen Atmosphäre möglich, die auf wechselseitigem Respekt und einer erweiterten Kommunikation basiert.
  3. Dass die ITU-Vollversammlung in Dubai darauf verzichtet hat, eine extreme Position zu beziehen, kann daher als eine Art vertrauensbildende Maßnahme gesehen werden. Die offenen Fragen werden nach der Dubai-Konferenz weiter diskutiert werden. Wichtige Diskussionsplattformen dazu werden die jährlichen WSIS-Foren der ITU, das UN Internet Governance Forum und die Vorbereitung der WSIS+20 Konferenz sein, die für das Jahr 2025 vorgesehen ist. Die Verschiebung der Behandlung von Themen mit einem erheblichen politischen Streitwert in die nähere oder weitere Zukunft erweist sich daher als eine sinnvolle Strategie. Das spiegelte sich auch bei der kontroversen Frage wider, ob und wann es zu einer Neuauflage von Verhandlungen für die Internationale Telecommunication Regulation (ITR, Dubai 2012) kommen soll. Die vor vier Jahren eingesetzte „Expert Group on ITRs“ (EG-ITR) soll zwar ihre Arbeit fortsetzen, aber erst der ITU-Vollversammlung im Jahr 2022 einen Bericht mit Optionen für das weitere Vorgehen vorlegen. Die Frage, ob es überhaupt zu einer Neuverhandlung der ITRs kommt, ist damit nach wie vor völlig offen.

Die 2018er ITU Vollversammlung wählte auch das neue Führungspersonal der Organisation. Der Chinese Houlin Zhao wurde für weitere vier Jahre als ITU-Generalsekretär bestätigt. Es gab keinen Gegenkandidaten. Houlin Zhao war zuvor acht Jahre Direktor von ITU-T und acht Jahre stellvertretender ITU Generaldirektor. Auch der Brite Malcolm Johnson wurde als stellvertretender ITU-Generalsekretär wiedergewählt. Die drei Direktorenposten werden von Mario Maniewicz (Uruguay) für ITU-R, von Chaesub Lee (Süd-Korea) für ITU-T und Doreen Bogdan-Martin (USA) für ITU-D besetzt. Mit Doreen Bogdan-Martin wurde erstmals in der über 150-jährigen Geschichte der ITU eine Frau in das Führungsgremium der ITU gewählt. Gewählt wurden auch die Mitglieder des ITU-Councils, des höchsten Gremiums der ITU zwischen den Vollversammlungen. Die Bundesrepublik Deutschland wurde wieder in den ITU-Rat gewählt.


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