Q4/2019 - 14. Internet Governance Forum
Berlin, 25. – 29. November 2019
Das 14. UN Internet Governance Forum (IGF) vom 25. – 29. November 2019 war das bislang größte und erfolgreichste IGF seit der Gründung im Jahre 2006. 7.000 Teilnehmer aus 111 Ländern, davon die Hälfte online, diskutierten in über 200 Sessions (Plenarsitzungen, Workshops, Roundtables, Best-Practice-Foren, Dynamic Coalitions etc.) unter dem Motto „One World. One Net. One Vision“. Die Diskussion konzentrierte sich auf drei Schwerpunkte: (1) Data Governance; (2) Digital Inclusion und (3) Security, Safety, Stability & Resilience. In der begleitenden Ausstellung, dem IGF Village, präsentierten sich 50 Organisationen. 55 so genannte „Remote Hubs“ organisierten die Online-Beteiligung. Angewachsen ist die Zahl der regionalen und nationalen IGFs (NRIs) auf mittlerweile 120[1].
Eröffnungsreden UN-Generalsekretär António Guterres und Bundeskanzlerin Angela Merkel
Ihre politische Bedeutung erhielt das Berliner IGF auch durch die beiden Eröffnungsreden von UN-Generalsekretär António Guterres und der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel.
UN-Generalsekretär António Guterres forderte, dass die weitere Entwicklung des Internet stärker eingebunden sein müsse in die Erreichung der nachhaltigen UN-Entwicklungsziele (SDGs). Auch 15 Jahre nach dem UN-Weltgipfel zur Informationsgesellschaft sei die Welt digital immer noch gespalten. Und seither hätten sich weitere Probleme aufgetan, insbesondere im Zusammenhang mit dem Aufkommen ganz neuer Technologien wie künstlicher Intelligenz. Guterres beklagte, dass die Politik nicht ausreichend auf solche neuen Herausforderungen vorbereitet sei und unterstützte ein enges Zusammenwirken von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft, d.h. das Multistakeholder-Prinzip. Politik könne von Verfahren in der Wirtschaft und der Wissenschaft profitieren. Tatenlosigkeit riskiere den Verlust des „universally accessible, free, secure, and open Internet“. Die Gefahr einer Fragmentierung des Internet sei real. Es gehe darum, die Möglichkeiten der digitalen Revolution für alle zu maximieren und die Risiken zu minimieren. Dabei könne und müsse das IGF eine konstruktive Rolle spielen. Guterres machte drei Vorschläge für die Weiterentwicklung des IGF. Er verwies auf die Empfehlungen des von ihm eingesetzten UN High Level Panels on Digital Cooperation und den im Juni 2019 veröffentlichten Bericht „The Age of Digital Interdependence“[2].
Bundeskanzlerin Angela Merkel berührte in ihrer Eröffnungsrede eine Vielzahl von Internet-Themen. In den Mittelpunkt stellte sie die Frage von Freiheit und Souveränität. Dabei entwickelte sie ein dialektisches Herangehen an das international strittige Problem von „Cybersouveränität“. Sie sagte: „Das ist ein ganz schwieriges Thema, denn wir müssen klären, was wir damit meinen, auf der einen Seite unsere digitale Souveränität behalten zu wollen und uns auf der anderen Seite nicht abschotten, sondern multilateral agieren zu wollen. Natürlich ist digitale Souveränität von großer Bedeutung. Aber es kann sein, dass wir auf der Welt inzwischen Unterschiedliches verstehen, auch wenn wir den gleichen Begriff benutzen. Nach meinem Verständnis bedeutet digitale Souveränität nicht Protektionismus oder Vorgabe von staatlichen Stellen, was an Informationen verbreitet werden kann – also Zensur –, sondern beschreibt vielmehr die Fähigkeit, sowohl als Individuum, als einzelne Person, als auch als Gesellschaft die digitale Transformation selbstbestimmt gestalten zu können. Das heißt, auch in der digitalen Welt gilt: Technische Innovationen haben dem Menschen zu dienen – und nicht umgekehrt. Wir als diejenigen, die in Deutschland durch das System der Sozialen Marktwirtschaft erfolgreich geworden sind, wissen, dass technische Innovationen, dass Unternehmen sich nicht einfach frei entwickeln können, sondern dass sie immer auch Leitplanken brauchen. Das war bei der industriellen Revolution so und das wird auch im Zeitalter des Internets so sein müssen. Das heißt, wir brauchen Souveränität über das, was geschieht. Deshalb ist es gerade auch Ausdruck der Souveränität, für ein gemeinsames, freies, offenes und sicheres globales Internet einzutreten, wenn wir davon überzeugt sind, dass Abschottung kein Ausdruck von Souveränität ist, sondern dass wir ein gemeinsames Werteverständnis zugrunde legen müssen“[3].
Diskussion UN High-Level Panel on Digital Cooperation
Eine der politisch wichtigsten IGF-Plenarsitzungen war die Diskussion zum Bericht des „UN High-Level Panel on Digital Cooperation“ vom Juni 2019. Die Diskussion wurde vom stellvertretenden UN-Generalsekretär Fabrizo Hochschild geleitet. Im Zentrum standen die Vorschläge des UN-Panels zur Schaffung von Mechanismen zur Förderung der digitalen Kooperation und die Verabschiedung von neuen Dokumenten wie einem „Global Commitment on Trust and Security in Cyberspace“ oder einem „Global Commitment on Digital Cooperation“.
Bei der Diskussion um Mechanismen schälte sich eine Präferenz für den Vorschlag des UN-Panels, das IGF zu einem IGF+ zu erweitern, heraus. Das betraf insbesondere die Idee, das IGF um einen „Cooperation Accelerator“ und einen „Policy Incubator“ zu ergänzen. Mit diesen Mechanismen könnte es dem IGF gelingen, die Lücke, die es momentan gibt zwischen der Diskussion von Internetproblemen (im Rahmen des IGF) und Entscheidungen (im Rahmen von multilateralen Verhandlungen), zu schließen ohne dabei das Mandat des IGF, dass vom WSIS Gipfel in Tunis bewusst begrenzt worden war, grundlegend zu verändern.
Was die Vorschläge des Panels zur Ausarbeitung von neuen Instrumenten betraf, präferierte die Diskussion die Verabschiedung eines „Global Commitment on Digital Cooperation“ zum 75. Jahrestag der Vereinten Nationen. Der Vorschlag für ein „Global Commitment on Trust and Security“ erhielt weniger Unterstützung. Diskutanten verwiesen auf den bereits existierenden „Paris Call for Trust and Security in Cyberspace“ sowie auf die gerade erst begonnenen Verhandlungen im Rahmen der OEWG und der UNGGE6 zu Cybersicherheitsfragen. Ein weiteres Dokument würde wenig hinzufügen können. Grundlegende Feststellungen zur Stärkung von Vertrauen und Sicherheit im Cyberspace sollten aber in das geplante „Global Commitment on Digital Cooperation“ eingearbeitet werden.
IGF-Output & Rahmenveranstaltungen
Der jahrelangen Kritik am IGF, dass es zu wenig zählbare Ergebnisse (tangible output) produziere, begegnete das Berliner IGF mit der Verabschiedung eines opulenten „Output-Mix“, der sowohl traditionelle als auch neue Formate enthielt:
- IGF Messages
- Chair's Summary
- Jimmy Schulz Call: Messages from the Parliamentarians
- Elemente einer Digitalcharta für klein- und mittelständischen Unternehmen
- Zusammenfassung des zwischenstaatlichen High-Level Meetings
- IGF 2019 Session Reports[4].
Erstmals wurde im Rahmen des IGF ein Parlamentarier-Treffen organisiert. An dem Treffen nahmen 160 Parlamentarier aus 70 Ländern teil. Die Abgeordneten beschlossen, dieses Treffen im Rahmen des IGF zukünftig fortzuführen und eine IGF-Parlamentariergruppe zu bilden. Die Schlusserklärung des Parlamentariertreffens wurde „Jimmy Schulz Call“ genannt[5]. Damit wurde an den am Vorabend des Berliner IGF verstorbenen deutschen Bundestagsabgeordneten Jimmy Schulz zu erinnern. Schulz hatte als erster deutschen Abgeordneter 2011 in Nairobi an einem IGF teilgenommen und sich dafür eingesetzt, das UN-IGF nach Deutschland zu holen. Schulz war bis zu seinem Tode Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Digitalpolitik.
Die politische Bedeutung des Berliner IGF wuchs auch durch die Rahmenveranstaltungen, die dritte Organisationen im Zusammenhang mit dem Berliner IGF organisierten:
- Die Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) veranstaltete am Vorabend des IGF ihren jährlichen Cybersecurity-Summit,
- Das World Wide Web Consortium (W3C) nutzte das Berliner IGF, um die finale Version der „Contract for the Web“ zur Unterschrift aufzulegen.
- Die Global Commission on Stability in Cyberspace (GCSC) präsentierte ihren Abschlussbericht.
Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass sich 2019 die Erfindung des Internet zum 50. Mal und die des World Wide Web zum 30. Mal jährte, gaben die Auftritte von zwei Vätern dieser Erfindungen – Vint Cerf and Sir Tim Berners-Lee – dem Berliner IGF zusätzliche Bedeutung.
Neuer MAG Chair
Am Rande des IGF wurde bekanntgegeben, dass Anriette Esterhuysen, langjährige Präsidentin der zivilgesellschaftlichen Internetorganisation „Association for Progressive Communications“ (APC) vom UN-Generalsekretär zur neuen Vorsitzenden der IGF Multistakeholder Advisory Group (MAG-Chair) berufen wurde. Esterhuysen war Mitglied der Global Commission on Internet Governance (2013 – 2015) und der Global Commission on Stability in Cyberspace (2017 – 2019) und ist Mitglied der Faculty der Europäische Sommerschule für Internet Governance (EURO-SSIG). Sie folgt Lynn St. Amour, die nach drei Jahren aus dem Amt ausscheidet.
Das 15. UN Internet Governance Forum findet vom 2. – 6. November 2020 im polnischen Kattowitz statt. Die erste Vorbereitungsrunde des MAG ist für den 15. und 16. Januar 2020 in Genf geplant.