Q4/2019 - 74. UN-Vollversammlung
New York, Oktober – Dezember 2019
Resolutionen (1. – 3. Ausschuss), Dezember 2019, New York
Die 74. UN-Vollversammlung verabschiedete im Dezember 2019 insgesamt sechs Resolutionen zu internetrelevanten Themen. Die Resolutionen wurden in den Ausschüssen der Vollversammlung verhandelt:
- Im 1. Ausschuss (Frieden, Abrüstung und Sicherheit) wurden drei Texte verhandelt:
Die UN-Resolution 74/29 „Developments in the field of information and telecommunications in the context of international security“ begrüßt den Beginn der Verhandlungen der OEWG und der 6. UNGGE als zwei selbständige, aber voneinander unabhängige Prozesse, die jedoch auf das gleiche Ziel – die Stärkung von Frieden und Sicherheit – ausgerichtet sind[1];
Die UN-Resolution 74/28 „Advancing responsible State behaviour in cyberspace in the context of international security“ empfiehlt der 6. UNGGE sich von den Ergebnisse der UNGGE-Berichte von 2013 und 2015 leiten zu lassen, neue Bedrohungen zu identifizieren und Maßnahmen zu erarbeiten, um eine „offene, interoperable, vertrauenswürdige und sichere Informations- und Kommunikationsumgebung zu gewährleisten, die in Übereinstimmung mit der Notwendigkeit steht, den freien Fluss von Information zu garantieren“[2];
Die UN-Resolution 74/367 „Role of Science and Technology in the Context of International Security and Disarmament“ verweist auf die Arbeit der GGE LAWS und forderte die UN-Staaten auf, in enger Zusammenarbeit mit Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft ein besseres Verständnis für die Konsequenzen neuer technologischer Entwicklungen für die Aufrechterhaltung von Frieden und Sicherheit sowie für Abrüstung zu entwickeln[3]
- Im 2. Ausschuss (wirtschaftliche Entwicklung) wurde die UN-Resolution 74/378 „Information and Communications Technologies for Sustainable Development“ verhandelt. Sie schreibt die seit 2006 verabschiedeten Resolutionen zur Umsetzung der Beschlüsse des UN-Weltgipfels zur Informationsgesellschaft (WSIS) von 2005 fort. Ihr liegt, wie in den vergangenen Jahren, ein über den ECOSOC zugeleiteter Bericht der für die WSIS Review zuständigen UN-Kommission für Wissenschaft, Technologie und Entwicklung (UNCSTD) zugrunde:
- Die 2019er Resolution enthält keine neuen Aspekte. Sie bekräftigt die Notwendigkeit, die nach wie vor vorhandenen Diskrepanzen zwischen entwickelten und Entwicklungsländern bei der Digitalisierung zu schließen (digital divide). Dabei verlagert sich der Schwerpunkt mehr und mehr in den wirtschaftlichen Bereich. Gefordert werden innovative Formen von „public-private partnerships“ und ein verstärktes Engagement des privaten Sektors. Eine besondere Rolle wird der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) zugewiesen. Die UNCTAD-Initiative „eTrade for All“ sowie die Arbeit der „UNCTAD-Expertengruppe on eCommerce und Digital Economy“ werden ebenso gewürdigt wie die „Africa eCommerce Week“, die für 2020 geplante „Asia e-Commerce Week“ oder das UNESCO-Programm „Information for All“.
- Positiver als zuvor wird die Rolle des Internet Governance Forums (IGF) bewertet, wobei die Notwendigkeit einer erweiterten Beteiligung von Regierungen und Stakeholdern aus Entwicklungsländern gefordert wird. Jahrelang war das IGF in einen direkten Zusammenhang mit dem politisch kontroversen Prozess der sogenannten erweiterten Zusammenarbeit (enhanced cooperation) gebracht worden. Nachdem die zwei UNCSTD- Arbeitsgruppen zur erweiterten Zusammenarbeit (WGEC1 und WGEC2) keine Ergebnisse produziert hatten, verzichtet die 2019er Resolution auf eine erneute formale Verbindung dieser zwei Prozesse, bedauert jedoch, dass die WGECs keinen Konsensus erzielen konnten. Die Resolution bekräftigt die fortdauernde Bedeutung einer „erweiterten Zusammenarbeit“, die notwendig sei, um Regierungen zu befähigen, auf gleicher Augenhöhe (equal footing) ihre Rolle und ihre Verantwortlichkeiten mit Blick auf internationale politische Fragen des Internet wahrnehmen zu können. Konkrete Vorschläge, wie diese erweiterte Zusammenarbeit zukünftig zu gestalten und umzusetzen ist, werden nicht gemacht[4].
- Die UN-Resolution 74/378 spricht sich auch für die Schaffung von transparenten, berechenbaren, unabhängigen und diskriminierungsfreien Regularien aus und betont dabei die Notwendigkeit und Nützlichkeit des Multistakeholder-Prinzips[5].
- Mehrfach wird auf die nachhaltigen Entwicklungsziele der UNO (SDGs) hingewiesen, die bis 2030 erreicht werden sollen. Einen Verweis auf die für 2025 anberaumte Überprüfung der WSIS Tunis Agenda (WSIS+20) gibt es noch nicht. Das Thema „Information and Communications Technologies for Sustainable Development“ wird erneut auf der 75. UN-Vollversammlung im Herbst 2020 verhandelt. Ob dann bereits über die Vorbereitung von WSIS+20 gesprochen wird, ist jedoch noch offen und wird nicht zuletzt auch davon abhängen, wie die UN mit dem Follow-up und den Empfehlungen des UN High-Level Panels on Digital Cooperation umgehen wird.
- Im 3. Ausschuss (Menschenrechte) wurden zwei Resolutionen zum Thema Internet verabschiedet.
- Nach einer sehr kontroversen Diskussion verabschiedete die 74. UN-Vollversammlung am 27. Dezember die UN-Resolution 74/401 „Countering the use of information and communications technologies for criminal purposes“. In der Resolution wird die UN aufgefordert, ein neues UN-Komitee zu schaffen mit dem Mandat, eine UN-Konvention zur Bekämpfung von Cyberkriminalität auszuarbeiten.
Die von Russland initiierte Resolution wurde mit nur 77 Stimmen bei 60 Gegenstimmen und 33 Enthaltungen angenommen[6]. Die UN-Resolution ist vor dem Hintergrund einer jahrelangen Auseinandersetzung über die Rolle der UNO im Kampf gegen Cyberkriminalität zu sehen. Die westlichen Staaten vertraten und vertreten die Ansicht, dass die Budapester Cybercrime Convention, die 2001 unter dem Dach des Europarates ausgehandelt wurde, ein ausreichendes internationales Instrument sei, um gegen Cyberkriminalität vorzugehen. Neue Entwicklungen könnten in Zusatzprotokollen geregelt werden. Die Konvention des Europarates steht allen UN-Mitgliedern zur Signatur offen. Allerdings haben von den 193 UN-Mitgliedern nur 79 Staaten die Budapester Konvention ratifiziert.
Große Staaten wie die UN-Sicherheitsratsmitglieder Russland und China, aber auch Indien oder Brasilien lehnen die Budapester Konvention ab. Diese Länder argumentieren, dass sie zwar mit den Grundsätzen der Budapester Konvention durchaus übereinstimmen, da sie aber im Jahr 2001 nicht an der Ausarbeitung des Textes der Budapester Konvention beteiligt waren, eine eigenständige neue UN-Konvention bevorzugen. Russland und China haben zusätzlich Vorbehalte gegen Bestimmungen des Artikels 32 der Budapester Konvention, die nach deren Auffassung nicht kompatibel sind mit ihrem Verständnis von Cybersouveränität[7].
Russland hatte im Jahr 2017 einen Textvorschlag für eine UN-Cybercrime-Konvention in den 3. Ausschuss eingebracht. Dieser Text basierte weitgehend auf einem multilateralen Abkommen zur Bekämpfung von Cyberkriminalität einiger Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion, der sogenannten „Minsker Konvention“. Die westlichen Staaten sahen in dem neuen, von Russland eingebrachten Entwurf ein Instrument, das nicht nur klassische Cyberkriminalität bekämpfen soll, sondern auch als Handhabe dienen könnte für eine global sanktionierte Internet-Zensur.
Nach der UN-Resolution 74/401 soll das neu zu schaffende zwischenstaatliche UN-Komitee im August 2020 zu seiner konstituierenden Sitzung zusammenkommen. Die operative Arbeit wird also kaum vor 2021 beginnen. Angesichts der Abstimmungsverhältnisse und der kontroversen Interessenlage ist es sehr unwahrscheinlich, dass das neue Komitee schnell zu Resultaten kommt. Es ist aber ebenso unwahrscheinlich, dass sich nach dem UN-Beschluss die Zahl der Ratifikationen der Budapester Konvention substantiell erhöhen wird. Insofern wird es für einen längeren Zeitraum eine völkerrechtliche Lücke beim Kampf gegen Cyberkriminalität auf internationaler Ebene geben. Das erhöht u.a. die Verantwortung von regionalen Organisationen sowie von Interpol und Europol. In der UN-Resolution 74/400 “Countering Child Sexual Exploitation and Sexual Abuse Online“ wurden die UN-Mitgliedsstaaten aufgefordert, die sexuelle Ausbeutung und den Missbrauch von Kindern im Internet zu kriminalisieren und stärker zu verfolgen. Das UN-Office on Drugs and Crimes wird aufgefordert, den UN-Staaten bei der Verfolgung solcher Straftaten behilflich zu sein. Die Staaten werden aufgefordert, der „UN Convention against Transnational Organized Crime“ beizutreten, und hier insbesondere das „Protocol to Prevent, Suppress and Punish Trafficking in Persons, especially Women and Children“ zu unterzeichnen[8].
Resolutionen zu den Themen Meinungsäußerungsfreiheit und Datenschutz im digitalen Zeitalter wurden von der 74. UN-Vollversammlung nicht verabschiedet.
- Nach einer sehr kontroversen Diskussion verabschiedete die 74. UN-Vollversammlung am 27. Dezember die UN-Resolution 74/401 „Countering the use of information and communications technologies for criminal purposes“. In der Resolution wird die UN aufgefordert, ein neues UN-Komitee zu schaffen mit dem Mandat, eine UN-Konvention zur Bekämpfung von Cyberkriminalität auszuarbeiten.
Vorbereitung des 75. Jahrestages der UN, Oktober 2019, New York
Am 24. Oktober 2019 kündigte UN-Generalsekretär António Guterres einen weltweiten Dialog zur Vorbereitung des 75. Jahrestages der Gründung der Vereinten Nationen (24. Oktober 2020) an. Teil dieses Dialoges sind auch die Themen, die das vom UN-Generalsekretär eingesetzte High-Level Panel on Digital Cooperation in seinem Report „The Age of Digital Interdependence“ (Juni 2019) aufgeworfen hat. Das Panel hat insbesondere zwei relevante Vorschläge gemacht:
- Einerseits sollte zum 75. Jahrestag der Vereinten Nationen die UN-Vollversammlung ein „Global Commitment on Digital Cooperation“ verabschieden.
- Andererseits sollte bis dahin ein Mechanismus zur Optimierung der Entwicklung von internetrelevanten Politiken entwickelt werden.
Am 24. November 2019 fand dazu im Rahmen des 14. IGF in Berlin eine vom stellvertretenden UN-Generalsekretär Fabrizio Hochschild geleitete Diskussion statt, die auch konkrete Vorschläge enthielt, wie das IGF zu einem IGF+ weiterentwickelt werden könnte. Hochschild ist vom UN-Generalsekretär Guterres mit den Vorbereitungen des 75. UN-Jahrestages betraut worden. Zu diesem 75. Jahrestag soll auch eine langfristige UN-Strategie zum Umgang mit den Weltproblemen verabschiedet werden, die auf das Jahr 2045, den hundertsten Geburtstag der Vereinten Nationen, zielt. Das Prozedere, wie die entsprechenden Dokumente ausgearbeitet werden sollen, ist jedoch noch unklar[9].