Q4/2019 - Brasilianische BRICS-Präsidentschaft

BRICS Gipfeltreffen, Brasília, 14. November 2019

Der 11. Gipfel der BRICS-Staaten fand am 14. November 2019 in Brasília statt. Ungeachtet substanzieller Meinungsverschiedenheiten zwischen den fünf Präsidenten (Xi Jinping, Wladimir Putin, Narendra Modi, Cyrus Ramaphosa, Jair Balsonaro), funktioniert das auf dem Höhepunkt der Finanzkrise im Jahr 2008 gegründete lose Staatenbündnis der fünf Länder als ein hilfreiches Instrument der Koordinierung der nationalen Politiken in zahlreichen Sachbereichen. Es ist mittlerweile ein Netz mit jährlich Hunderten von BRICS-Veranstaltungen und mehr als ein Dutzend neuer BRICS-Institutionen entstanden, wobei die Ergebnisse dieser Kooperation bislang noch nicht nachhaltig wirksam geworden sind. Einheitliche größere Initiativen zur Lösung globaler Probleme sind bislang eher selten. Das betrifft auch die beiden Themen Cybersicherheit und Digitalwirtschaft, die erneut beim BRICS-Gipfel in Brasília auf der Tagesordnung standen. Die in der „Brasilia Declaration“ vom 14. November 2019 vorgenommenen Positionsbeschreibungen sind jedoch sehr allgemein und mehr bürokratischer denn substanzieller Natur.

Beim Thema Cybersicherheit bekräftigt die „Brasilia Declaration“ die bereits beim BRICS-Außenministertreffen am 26. Juli 2019 in Rio de Janeiro vereinbarten Formulierungen[1].  Die fünf Regierungschefs sind sich wie ihre Außenminister einig, der UNO eine größere Rolle zu geben:

  • Die Tätigkeit der OEWG und der UNGGE6 wird ausdrücklich begrüßt und es wird auf das Potenzial von Synergien zwischen beiden Prozessen verwiesen. Auf das noch vor Jahren vorangetriebene Projekt einer UN-Cybersicherheit-Konvention (oder eines Code of Conduct) wird nicht mehr verwiesen, wohl auch vor dem Hintergrund der gerade angelaufenen neuen Verhandlungen im Rahmen der OEWG und der UNGGE.
  • Unterstützt wird der von Russland initiierte Prozess, im Rahmen der UNO eine neue Cybercrime-Konvention auszuarbeiten.
  • Der russische Vorschlag, ein eigenständiges plurilaterales Abkommen zum Thema Cybersicherheit nur zwischen den fünf BRICS-Staaten zu vereinbaren, fand keine Zustimmung. Als Alternative hat Brasilien ein Netzwerk von bilateralen Abkommen ins Spiel gebracht. Auch dort gibt es bislang wenig konkrete Fortschritte.
  • Der russische Vorschlag, dass sich die BRICS-Staaten dem Projekt eines eigenständigen Roots für das Internet anschließen, fand keine Resonanz. Das Thema wird in der „Brasilia Declaration“ nicht einmal erwähnt. Verwiesen wird lediglich auf die Aktivitäten der relativ intransparent arbeitenden „BRICS Working Group on Security in the Use of Information and Communication Technologies (WGSICT)“ und „BRICS Roadmap of Practical Cooperation on Ensuring Security in the Use of ICTs“[2], in der aber das Projekt einer eigenständigen BRICS-Root nicht erwähnt ist.

Ein zweiter Schwerpunkt betrifft die digitale Wirtschaft. Vorbereitet wurde dieses Thema durch die 7. Tagung der BRICS-Minister für Wissenschaft, Technologie und Innovation (STI) sowie der 5. Tagung der BRICS-Minister für Kommunikation.

Konkretes Resultat dieser Tagungen ist u.a. die Bildung eines „iBRICS Networks“ als Teil des „BRICS Innovation Action Plan“, der die Zusammenarbeit zwischen wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Einrichtungen in den fünf Ländern fördern soll. Ein „BRICS-STI Steering Committee“ soll die Arbeit koordinieren.

Im Zeitraum zwischen 2016 und 2019 wurden insgesamt 91 Forschungsprojekte, in die 3400 Wissenschaftler aus allen fünf Ländern eingebunden waren, gefördert. Wie groß die bereitgestellte Fördersumme für das Projekte insgesamt war, wird jedoch nicht angegeben.

Begrüßt wird die Bildung des „BRICS Institute of Future Networks Council“ (BIFN). Die erste Filiale dieses dezentral geplanten Instituts war im August 2019 in China eröffnet worden.

Weiterhin soll u.a. eine neue „Digital BRICS Task Force“ (DBTF) Koordinierungsaufgaben in diesem Bereich übernehmen. Die wäre auch zuständig für die aus der südafrikanischen BRICS-Präsidentschaft 2018 entstandene PartNIR-Initiative, die sich vor allem darum kümmern soll, wie die fünf BRICS-Staaten die Herausforderung der, wie sie es nennen, „New Industrial Revolution (NIR) angehen. Die 2. Tagung der „PartNIR Advisory Group“ hatte im September 2019 in Brasília stattgefunden. Unter diesem Programm sollen Netzwerke von Wissenschaftsparks, Innovationszentren und Business Incubators entstehen[3]

Am 1. Januar 2020 geht die BRICS-Präsidentschaft von Brasilien auf Russland über. Der russische Präsident Wladimir Putin hat bereits angekündigt, dass die beiden Themen Cybersicherheit und Digitalwirtschaft einer der Schwerpunkte des 12. BRICS-Gipfeltreffens sein werden. Das Treffen ist für den 21. bis 23. Juli 2020 in St. Petersburg angesetzt[4].  Ein weiterer Schwerpunkt der russischen BRICS-Präsidentschaft wird der 75. Jahrestag der Beendigung des 2. Weltkrieges sein. In diesem Kontext plant Putin eine Initiative zur Bekämpfung von Nazi-Propaganda, auch über das Internet. Gestärkt werden soll das Wissen um die historischen Fakten im Zusammenhang mit Ausbruch und Verlauf des 2. Weltkrieges.

    Shanghai Cooperation Organisation (SCO)

    Russland hat 2020 auch die Präsidentschaft der eng mit BRICS verbundenen Shanghai Cooperation Organisation (SCO). Die Prioritäten, die Russland für die BRICS-Präsidentschaft benannt hat, gelten mutatis mutandis auch für die SCO-Präsidentschaft. Erstmalig werden sowohl BRICS- als auch SCO-Gipfel parallel stattfinden. Bereits jetzt wurde angekündigt, dass der SCO-Gipfel ein spezielles Statement zum Thema Cybersicherheit verabschieden wird. Auf die Ausarbeitung eines solchen Dokuments hatten sich SCO-Experten bei einem Treffen am 11. November 2019 in Moskau unter Leitung von Russlands Internet-Botschafter Andrej Krutskich geeinigt. Krutskich vertritt Russland sowohl in der UNGGE6 als auch in der OEWG. Das Moskauer SCO-Meeting bekräftigte die Auffassung der SCO-Staaten, der UNO die zentrale Rolle bei Fragen von Cybersicherheit und Internet Governance einzuräumen. Die SCO-Staaten unterstützten auch die russische Initiative zur Ausarbeitung einer neuen UN-Konvention zum Kampf gegen Cyberkriminalität[5].

     

    Russland

    Die russische Initiative zum Aufbau einer eigenen Internet-Root ist bislang von keinem BRICS- oder SCO-Staat unterstützt worden.

    Nach der Unterschrift des russischen Präsident Wladimir Putin unter das von der russischen Duma im April 2019 verabschiedete „Internet-Souveränitäts“-Gesetz trat es am 1. November 2019 in Kraft. Mitte Dezember 2019 wurde ein erster Test durchgeführt. Der verlief nach Ansicht des russischen Kommunikationsministeriums erfolgreich. Internet-Nutzer in Russland hätten von den entsprechenden Abschottungsmaßnahmen nichts gespürt. Die russische Regierung will sich mit dem sogenannten „Sovereign RuNet“ unabhängig vom globalen Internet machen und gewappnet sein für den Fall, dass amerikanische Sanktionen Russland vom Internet abklemmen könnten. Das „souveräne RuNet“ würde nach Angaben des stellvertretenden russischen Kommunikationsminister Alexej Sokolow externen negativen Einfluss reduzieren und die Verwundbarkeit russischer Systeme, z.B. im Zusammenhang mit dem Internet der Dinge, verringern.

    Cybersouveränität und Datenlokalisation ist seit Jahren eine der Prioritäten der russischen Internet-Politik. Die existierende Gesetzgebung verbietet z.B. den Verkauf von Smartphones ohne vorinstallierte russische Software. Geplant ist auch eine eigene russische Wikipedia-Version[6]. Kritiker des Gesetzes sehen darin eine Gefahr für ein höheres Maß an staatlicher Kontrolle und Überwachung des Internet in Russland[7] und befürchten, dass die bislang relativ liberale russische Internet-Politik zunehmend dem chinesischen Beispiel folgt. 

    Mehr zum Thema
    Q4/2019BRICS
    1. [1] Media statement – Meeting of the BRICS Ministers of Foreign Affairs and International Relations, Rio de Janeiro, 26. Juli, 2019, in: http://www.itamaraty.gov.br/en/press-releases/20673-media-statement-meeting-of-the-brics-ministers-of-foreign-affairs-international-relations-rio-de-janeiro-july-26-2019
    2. [2] Brasília Declaration, 11th BRICS Summit, Brasília, Brazil, 14. November 2019: „18. We underscore the importance of an open, secure, peaceful, stable, accessible and non-discriminatory environment for information and communications technologies (ICTs). We emphasize the importance of universally agreed norms, rules and principles, under the auspices of the UN, for the responsible behavior of States in the realm of ICTs, and uphold the centrality of the United Nations in their development. In this connection, we welcome the establishment of a UN open-ended working group on this matter, as well as the launch of a new edition of the Group of Governmental Experts (GGE). While supporting both mechanisms, we underline that the dual-track process can provide complementarity and synergies in the international efforts in this matter. 19. We reaffirm our commitment to tackling the misuse of ICTs for criminal and terrorist activities. New challenges and threats in this respect require international cooperation, including through discussions on possible frameworks of cooperation, among which a UN universal binding regulatory instrument on the criminal use of ICTs. We recognize the progress made by the BRICS countries in promoting cooperation through the Working Group on Security in the Use of Information and Communication Technologies (WGSICT), which approved its revised Terms of Reference, and through the BRICS Roadmap of Practical Cooperation on Ensuring Security in the Use of ICTs. Bearing in mind previous BRICS Summits, we reaffirm the importance of establishing legal frameworks of cooperation among BRICS member States on ensuring security in the use of ICTs and acknowledge the work of the WGSICT towards consideration and elaboration of proposals on this matter. We take note of both the proposal by Russia on a BRICS intergovernmental agreement on cooperation on ensuring security in the use of ICTs and of the Brazilian initiative towards bilateral agreements among BRICS countries on the matter“, in: http://www.brics.utoronto.ca/docs/191114-brasilia.html
    3. [3] Brasília Declaration, 11th BRICS Summit, Brasília, Brazil, 14. November 2019: „ 52. We highlight the importance of science, technology and innovation (STI) as one of the main drivers of economic growth as well as a key element to shape the future of our societies. We welcome the results of the 7th Meeting of the BRICS Science, Technology and Innovation Ministers and cooperation initiatives which have been fostering collaboration among researchers, young scientists and government bodies and bringing closer together our innovation ecosystems. We express satisfaction at the results achieved by the Innovation Action Plan, such as the creation of the iBRICS Network. We welcome the new BRICS STI Architecture aimed at streamlining and intensifying STI joint activities, to be implemented through the BRICS STI Steering Committee. 53. We welcome the outcomes of the 5th Meeting of the BRICS Ministers of Communication. We will continue to strengthen joint activities among BRICS countries, create new cooperation opportunities and expand and intensify partnerships already in progress including taking necessary steps for early setting up of the Digital BRICS Task Force (DBTF). We note with appreciation the outcome of the first meeting of the BRICS Institute of Future Networks (BIFN) Council. 54. We recognize the New Industrial Revolution (NIR) as a critical development opportunity from which all countries must benefit equally, while acknowledging the challenges it brings. We note with satisfaction the progress in the implementation of the Johannesburg Summit decision to commence the full operationalization of PartNIR. We also welcome the adoption of the PartNIR Work Plan and the Terms of References of PartNIR Advisory Group. We will continue to take mutually beneficial initiatives in the six cooperation areas identified in the Work Plan, as agreed at the BRICS 2nd PartNIR meeting held in Brasilia in September 2019, including establishing BRICS industrial and science parks, innovation centers, technology business incubators and enterprises network.“ In:
    4. [4] Russia takes over the reins to chair BRICS in 2020 , TASS, Moskau, 31. Dezember 2019: „According to Putin, BRICS nations need to make more proactive efforts to play a leading role in the UN. Specific goals in this regard include fighting terrorism and the dissemination of terrorist dogma, particularly on the Internet, as well as combating money laundering and the financing of terrorism, while working to take back criminally obtained assets. As for the economy, Russia plans to suggest that the five nations renew the BRICS Strategy for Partnership in Trade and Investment that they adopted at the Ufa summit. According to the Russian Economic Development Ministry, the updated document will cover cooperation fields such as the development and integration of remote areas, the exchange of experience in regulatory impact assessment, digital trade, the use of digital solutions in the field of intellectual property and the promotion of artificial intelligence technologies“. In: https://tass.com/politics/1105265
    5. [5] Press release on the results of the meeting of the SCO Expert Group on International Information Security, Moskau, 12. November 2019: „On November 12, Moscow hosted a regular meeting of the SCO Expert Group on International Information Security. Ambassador at Large of the Foreign Ministry and Special Presidential Representative for International Cooperation in Information Security Andrey Krutskikh chaired the meeting…. The sides discussed the most topical matters of multilateral and regional cooperation on international information security between SCO member states. They agreed to further coordinate their positions on international information security and internet governance within the UN, as well as at other key specialised international venues and forums. They reaffirmed their readiness to jointly advance draft Russian resolutions of the 74th Session of the UN General Assembly, namely, Developments in the Field of Information and Telecommunications in the Context of International Security and Countering the Use of Information and Communications Technologies for Criminal Purposes, by SCO member states at the UN General Assembly. The sides noted the importance of further strengthening collaboration in order to maintain international information security under the relevant 2009 inter-governmental agreement. For these purposes, they discussed a draft joint statement by the SCO heads of state in this area, due to be adopted after the SCO Heads of State Council (HSC) Meeting in 2020“, in:
    6. [6] Russia 'successfully tests' its unplugged internet, BBC London, in: https://www.bbc.com/news/technology-50902496
    7. [7] Siehe: Robert Coalsen, Explainer: Russia Takes A Big Step Toward The 'Internyet', 1. November 2019: „For average Russian Internet users, not much will change immediately. The law itself states that compliance with some of its provisions begins in 2021. „After the law was passed, it became clear that they also needed to adopt more than 30 normative acts on implementing it," Aleksandr Isavnin, an analyst with the Internet-freedom advocacy group Roskomsvoboda, told RFE/RL. "Some of them have already been adopted but they were quite vaguely written…. Others that were in the process of being drafted were rejected on purely bureaucratic grounds. The law will not come into full effect precisely on November 1," he concluded, and many of its effects will depend on the exact wording of the normative acts. Over the longer term, Russian Internet users can expect higher costs, slower access speeds, and fewer provider options.“ Russia, Isavnin noted, has about 8,000 registered Internet service providers (ISPs), some 5,000 of which are active at any given time. "Of course, this situation doesn't please those in the government who love total control, who love to be in charge," he said. "It is much more difficult to control 5,000 providers than two or three or four – or one, like they have in Syria." ISPs have warned that compliance with the law will result in higher costs and slower services. "Russian operators will have to spend much more to secure access to the Internet than other operators do," Isavnin said. "And all this is necessary in order to, in one way or another, limit Russian citizens’ access to information. It isn't just censorship – it is censorship that Russians themselves must pay for. That's the saddest part." Government estimates put the ultimate cost of the legislation at between 20 billion and 30 billion rubles (3 million to 0 million). Roskomnadzor announced in late September that it would begin conducting a test of the new system in the Urals Federal District over the rest of 2019. Activists and analysts will be monitoring the region to see if there are noticeable reductions in access speeds or Internet reliability.“ in: https://www.rferl.org/a/explainer-russia-sovereign-internet-law-censorship-runet/30248442.html