Q4/2020 - Russische BRICS- & SCO-Präsidentschaft
BRICS-Gipfeltreffen, 17. November 2020 (virtuell)
Das für Juli 2020 geplante 12. Gipfeltreffen der fünf BRICS-Staaten wurde in den virtuellen Raum verlegt und fand vier Tage vor dem G20-Gipfeltreffen - am 17. November 2020 - unter Leitung des russischen Präsidenten Wladimir Putin statt. Im Mittelpunkt stand auch hier die Bewältigung der Pandemie. Sowohl die Gipfelerklärung als auch die begleitenden Dokumente zur Terrorismusbekämpfung und zur ökonomischen Zusammenarbeit enthalten Empfehlungen zu Cybersicherheit und zur Entwicklung der digitalen Wirtschaft. Allerdings wurden keine konkreten Beschlüsse gefasst. Auch hinsichtlich des seit Jahren verfolgten Projekts eines plurilateralen Cybersicherheits-Abkommens zwischen den fünf BRICS-Staaten gab es keine Fortschritte.
- In der „XII BRICS Summit Moscow Declaration“ beschäftigen sich fünf Paragrafen mit internet-governance-relevanten Themen[1]. In Para. 38 wird die Nutzung des Internet für Terrorismus verurteilt. In Para. 39 wird die „führende Rolle der UNO“ bei der Diskussion zur Cybersicherheit hervorgehoben. Die Fortschritte der OEWG und der UN-GGE werden begrüßt und die Geltung des Völkerrechts für den Cyberspace bekräftigt. In Para. 40 wird die Absicht erneuert, ein zwischenstaatliches Abkommen zur Cybersicherheit zwischen den fünf BRICS-Staaten abzuschließen. Verwiesen wird auf die Tätigkeit der „BRICS Working Group on Security in the Use of ICTs“ und die „BRICS Roadmap of Practical Cooperation on Ensuring Security in the Use of ICTs“. Fortschritte bei dem seit Jahren verfolgten Projekt gibt es aber nicht. Para. 41 weist auf den Anstieg von kriminellen Aktivitäten im Cyberspace hin und bedauert das Nichtvorhandensein eines multilateralen Abkommens zur Bekämpfung von Cyberkriminalität. Die auf russische Initiative von der UN-Vollversammlung Im Dezember 2019 verabschiedete UN-Resolution 74/247 zur Bildung eines zwischenstaatlichen Ad-hoc Komitees, das die Möglichkeiten einer UN-Konvention gegen Cyberkriminalität erörtern soll, wurde begrüßt. Para. 42 fordert Schutzmaßnahmen für Kinder gegen eine sexuelle Ausbeutung online.
- Die Erklärung zum „BRICS Counter Terrorism Strategy“ verurteilt den Missbrauch des Internets für das Rekrutieren von Terroristen, die Aufhetzung und Radikalisierung über soziale Medien sowie die Online-Organisation von finanzieller Unterstützung für terroristische Aktionen. Gefordert wird eine engere Zusammenarbeit mit der UNO, aber auch mit der G20 und der „Financial Action Task Force“ (FATF)[2].
- Die „Strategy for BRICS Economic Partnership until 2025“ enthält zwei die Digitalwirtschaft betreffende Abschnitte: „Digital Transformation“ und „Industry, Innovation and Technology“[3]. Im Abschnitt zur digitalen Transformation geht es vor allem um eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen den fünf BRICS-Staaten bei Regulierung, Ausbildung, Data Management, Digital Governance und der Überwindung der digitalen Spaltung. Im Abschnitt Industrie, Innovation und Technologie geht es um eine Vertiefung der „Intra-BRICS-Zusammenarbeit bei der durchgängigen Digitalisierung der nationalen Wirtschaft, der Entwicklung von Software, gemeinsamen Technologie-Plattformen, Wissenschaftsparks, Incubator-Zentren, sowie der Förderung von Industrie 4.0 durch die „BRICS Partnership on New Industrial Revolution (PartNIR). Geschaffen werden soll eine „BRICS Scientific Identity“. Viel verspricht man sich von dem „Young Scientist Forum“, das die „Next Generation of Scientific Leaders“ produzieren soll. Als oberstes Koordinierungsgremium für diesen Bereich fungiert die „Digital BRICS Task Force“ (DBTF). Verglichen mit den Absichtserklärungen des BRICS-Gipfeltreffens von Brasilia im Jahr 2019 gibt es aber nur wenig messbare Fortschritte.
Der chinesische Präsident Xi Jinping nutzte das Gipfeltreffen, um sich in seiner Rede indirekt mit der US-amerikanischen „Clean Network Initiative“ (CNI) auseinanderzusetzen. China setze sich für eine Stärkung des Multilateralismus und der Welthandelsorganisation (WTO) ein. „The practice of using the pandemic to pursue “de-globalization” or clamor for “economic decoupling” and “parallel systems” will end up hurting one’s own interests and the common interests of all.“ China möchte daher die „BRICS Partnership on New Industrial Revolution“ (PartNIR) als eine attraktive Alternative stärken und kündigte die Eröffnung eines neuen digitalen BRICS-Innovationszentrums in Xiamen an. Xi warb auch um Unterstützung für die „Global Initiative on Data Security“ (GIDS), die der chinesische Außenminister Wang Yi beim chinesischen IGF im September 2020 vorgetragen hatte. Die Moskauer Deklaration enthält allerdings keinen Paragraphen, der auf diese Initiative Bezug nimmt oder sie direkt unterstützt[4].
Im Jahr 2021 übernimmt Indien die BRICS-Präsidentschaft. 2022 folgt China und 2023 wieder Südafrika.
An dem virtuellen 19. SCO-Gipfeltreffen nahmen unter Leitung von Russlands Präsident Wladimir Putin u.a. der chinesische Präsident Xi Jinping, der indische Präsident Narendra Modi und der iranische Präsident Hassan Rohani teil. UN-Generalsekretär António Guterres sendete per Video eine Grußbotschaft. Angenommen wurde eine „Moskauer Deklaration“ sowie zwölf einzelne Dokumente, darunter zwei Erklärungen zu „Sicherheit im Cyberspace“ und zur „digitalen Wirtschaft“.
- In der „Moskauer Deklaration“ wird eine Stärkung von globaler Cybersicherheit und eine diskriminierungsfreie Entwicklungszusammenarbeit in der Digitalwirtschaft gefordert[5]. Universelle Regeln, Prinzipien und Normen für ein verantwortungsbewusstes Verhalten von Staaten im Cyberspace müssten im Rahmen der UN ausgearbeitet und Maßnahmen ergriffen werden zur Bekämpfung der Verbreitung von „illegalen Inhalten“ im Internet. Bezüge zu einem freien und offenen Internet, zu den Menschenrechten oder dem Multistakeholder-Prinzip für Internet Governance finden sich in der Moskauer Deklaration nicht.
- Das SCO-Statement zur Cybersicherheit fordert stärkeres staatliches Engagement zur Gewährleistung von Sicherheit im Cyberspace auf der Basis der Normen des Völkerrechts, wie sie in der UN-Charta verankert sind, insbesondere der Prinzipien Souveränität und Nichteinmischung. Das Statement sieht in der UNO die Hautplattform für Verhandlungen zu einem „friedlichen, sicheren, offenen und stabilen globalen Informationsraum“. Unterstützt werden die von Russland initiierten Bemühungen zur Ausarbeitung eines völkerrechtlichen Vertrags zur Bekämpfung von Cyberkriminalität im 3. Ausschuss der UN-Vollversammlung. Er soll die Verbreitung von Informationsinhalten mit „terrorist, separatist, extremist and other criminal purposes“ unterbinden. Mit Blick auf „Internet Governance“ wird gefordert, allen Staaten gleiche Rechte einzuräumen und dabei der ITU eine stärkere Rolle zuzuweisen. Gefordert wird eine „Balance zwischen Sicherheit und Entwicklung“. In diesem Kontext wird die Forderung erhoben, eine „gleichberechtigte, faire und diskriminierungsfreie Umgebung“ für Business-Aktivitäten im Bereich neuer Technologien zu schaffen. Eingefordert werden Mitsprachrechte bei der Ausarbeitung „technischer Standards für Informationssicherheit“. Die Erklärung wurde neben Russland und China von Kirgisistan, Pakistan, Tadschikistan und Usbekistan unterstützt. Indien und Iran unterzeichneten das Papier nicht[6].
- Im SCO-Statement zur Digitalwirtschaft wird die digitale Transformation als ein Schlüsselelement für wirtschaftliches Wachstum, nachhaltige Entwicklung und Wettbewerbsfähigkeit bezeichnet. Verstärkt werden soll die Zusammenarbeit in Bereichen wie Internet der Dinge und künstliche Intelligenz. Gestärkt werden sollen vor allem klein- und mittelständische Unternehmen. Mehr investiert werden soll in Ausbildung, die Entwicklung von Inkubatoren und die Förderung von Start-ups[7].
- Der chinesische Präsident Xi Jinping bezeichnete die Beziehungen zwischen den Staaten der Shanghai Cooperation Organisation als „ein Beispiel für einen neuen Typ von internationalen Beziehungen, die sich auf wechselseitigen Respekt, Gleichheit, Gerechtigkeit und einer Zusammenarbeit zum gegenseitigen Vorteil“ gründen[8]. Xi warnte vor einer Periode von „Turbulenzen und Transformationen“ nach Beendigung der Pandemie. Die Pandemie hätte viele sich seit Jahren abzeichnenden Prozesse, wie z.B. die globale Digitalisierung, beschleunigt und stehe jetzt vor einem Scheideweg. „The international community now faces a major test with choices to be made between multilateralism and unilateralism, openness and seclusion, cooperation and confrontation. "What is going on with the world?" "What shall we do about it?" These are the questions awaiting answers from the people of our time“. Xi zeigte sich zuversichtlich, dass neue Nullsummenspiele scheitern und Multilateralismsus den Unilateralismus besiegen wird. China werde sich für den Multilateralismus einsetzen und weitere Initiativen ergreifen wie die „Global Initiative on Data Security“ (GIDS), die „Belt and Road Initiative“ (BRI) und weitere Projekte in den Bereichen „digital economy, e-commerce, artificial intelligence and smart cities“[9].
- Der russische Präsident Wladimir Putin warnte in seiner Rede vor einem Anstieg von Cyberkriminalität. Die SCO-Staaten müssten ihre Anstrengungen verstärken, um dieser neuen Gefahr adäquat zu begegnen. Die SCO sollte eine wachsende Rolle in der Weltpolitik, vor allem im euro-asiatischen Raum, spielen. Unter der russischen SCO-Präsidentschaft hätten 16 neue Länder Interesse bekundet, Mitglied, Beobachter oder Dialogpartner der SCO zu werden.
- In seiner Pressekonferenz zum Abschluss des Gipfeltreffens hob SCO-Generalsekretär Vladimir Norov insbesondere die Beschlüsse zur Cybersicherheit und zur Digitalwirtschaft hervor. Das Gipfeltreffen hätte gezeigt, dass die SCO sich entwickelt hätte zu einem „influential and responsible participant in the modern system of international relations, which will continue to increase its contribution to peace and security, settlement of international and regional conflicts exclusively by political and diplomatic means, based on the principles of equality, respect for sovereignty, territorial integrity and non-interference in the internal affairs of states, renunciation of the use or threat of use of force.“[10]
- 2021 feiert die Shanghai Cooperation Organisation ihren 20. Geburtstag. Die SCO-Präsidentschaft geht 2021 auf Kirgisistan über. Das SCO-Gipfeltreffen ist für den 16. und 17. September 2021 in der kirgisischen Hauptstadt Duschanbe geplant.