Quartalsbericht 04/2020 - Zusammenfassung

Auch im 4. Quartal 2020 war die globale Diskussion zu Internet Governance von der Corona-Krise überschattet. Auf der zwischenstaatlichen Ebene wurden selbst Gipfel- und Ministerkonferenzen – wie die der G20 und der BRICS – sowie diplomatische Verhandlungen – wie die der OEWG und der GGE – verschoben, in den virtuellen Raum verlegt oder fielen ganz aus. Auch die großen Multistakeholder- Konferenzen – wie das IGF der UNO und der Lissaboner Web-Summit – fanden im November und Dezember 2020 als virtuelle Treffen statt. Dabei wurden sowohl Stärken als auch Schwächen dieser hybriden Formen von Politikentwicklung und Entscheidungsfindung im Cyberspace sichtbar. Klar scheint bereits jetzt, dass es nach Ende der Pandemie kein einfaches Zurück in den alten Modus geben wird. Viele Formen dieser neuen virtuellen Diplomatie werden sich dauerhaft etablieren.   

Im 4. Quartal wurde auch ein sich bereits seit längerem abzeichnender Trend weiter untermauert: Die Zeiten, in denen staatliche Regulierung des Internets von der Multistakeholder-Community mehrheitlich negativ beurteilt wurde, gehen zu Ende. Auch in westlichen Demokratien gewinnt die Auffassung an Boden, dass die Freiheit des Internets zu negativen Begleiterscheinungen geführt hat – Cyberkriminalität, Desinformationskampagnen, Verletzung der Privatsphäre, Bedrohung der Demokratie, Wettbewerbsverzerrung – zu deren Bekämpfung eine eindeutige Gesetzgebung unvermeidlich ist. Insbesondere für die Regulierung der global agierenden Internet-Plattformen gibt es einen wachsenden internationalen Konsensus. Dabei scheint im Moment offen, wie nicht-staatliche Stakeholder in die Ausarbeitung des neuen „digitalen Gesetzbuches“ – die Präsidentin der EU-Kommission Ursula von der Leyen spricht von einem „Re-Writing of the Digital Rulebook – einbezogen werden.      

Zu den positiven Erfahrungen der virtuellen Meetings gehört ein nicht unerheblicher Demokratisierungseffekt. Der Zugang zu Diskussionen und die Teilnahme an Konferenzen wird grundsätzlich erleichtert auch für jene, die bislang wegen oft begrenzter Reisebudgets oder einer limitierten Einladungspraxis ausgeschlossen waren. Davon profitieren vor allem individuelle Mitglieder der Zivilgesellschaft und der akademischen Community. Zum Nadelöhr wird allenfalls das Vorhandensein technischer Voraussetzungen, wobei diese Barriere selbst im globalen Süden immer niedriger wird. Beim virtuellen IGF beteiligte sich eine Rekordzahl von 6.000 Experten. Beim Lissaboner Web-Summit vermeldeten die Organisatoren sogar über 100.000 Teilnehmer. Auch zwischenstaatliche Gremien wie die Open Ended Working Group (OEWG) der Vereinten Nationen nutzten die virtuellen Möglichkeiten und erprobten neue Formen des Multistakeholder-Dialogs.

Sichtbar wurden jedoch auch die Nachteile. Virtuelle Vorträge funktionieren sehr gut. Virtuelle Verhandlungen sind kompliziert. Das Aushandeln von vertragsfähigen Kompromissen ist ohne direkte Kommunikation extrem schwierig. Die Folge ist, dass schwierige Themen umschifft, notwendige Treffen vertagt und anstehende Regulierungen aufgeschoben werden. Dabei entsteht ein politisches Vakuum, dass zunehmend durch unilaterale Maßnahmen, primär von nationalen Regierungen, gefüllt wird.

Im 4. Quartal 2020 zeigte sich das u.a. daran, dass wesentliche Entscheidungen weniger in den multilateralen Verhandlungsgremien oder im Rahmen von Multistakeholder-Diskussionen, sondern in den Präsidial- und Staatskanzleien der Cybersupermächte oder den Vorstandsetagen von Internetgroßkonzernen getroffen wurden. Das Fehlen von direkter Multistakeholder-Kommunikation (F2F) hat den Unilateralismus gestärkt.  

Im 4. Quartal ragten dabei die folgenden Ereignisse und Prozesse heraus:

  1. Europäische Union: Die Europäische Kommission hat im 4. Quartal 2020 ein ganzes Paket von Gesetzesentwürfen, Strategiepapieren und Aktionsprogrammen verabschiedet, mit denen die von der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, ausgerufene „Europäische Digitale Dekade“ untermauert werden soll. Hervorzuheben sind dabei die beiden am 15. Dezember 2020 präsentierten Gesetzentwürfe zur Regulierung von digitalen Märkten und Plattformen (Digital Services Act/DSA & Digital Market Act/DMA). Weitere Papiere betrafen den „Data Governance Act/DGA“, den Entwurf einer neuen Cybersicherheits-Direktive (NIS-2) sowie Papiere zur Medienpolitik, zur transatlantischen Partnerschaft und zur digitalen Kooperation mit dem „Rest der Welt“, vor allem mit Afrika.   
  2. USA: Im letzten Quartal seiner Amtszeit hat sich der scheidende US-Präsident Donald Trump nicht mehr an der Arbeit multilateraler Gremien im Internet-Governance-Ecosystem beteiligt. Stattdessen hat er sich auf die Verschärfung von Sanktionen gegen chinesische Internetunternehmen konzentriert. Nach dem Cyberangriff auf Solarwinds hat aber auch der im Januar 2021 sein Amt antretende neue US-Präsident Joe Biden angekündigt, Cybersicherheit zu eine der Prioritäten seiner Administration zu machen. Ob Biden die von US-Außenminister Pompeo im 3. Quartal 2020 gestartete „Clean Network Initiative“ (CNI), fortsetzen will, ist offen. Die CNI zielt auf eine Isolation Chinas bei globalen digitalen Lieferketten.  
  3. China: Die vom chinesischen Außenminister Wang Yi im September 2020 lancierte „Global Initiative on Data Security“ (GIDS) ist im 4. Quartal 2020 nicht weiter vorangekommen. Bei der 75. UN-Vollversammlung (UNGA) haben sich nur wenige Staaten dazu geäußert. In den Verhandlungen im 1. Ausschuss der UNGA spielte die GIDS keine Rolle. Am 20. November 2020 veröffentlichte das „Organisationskomitee“ der chinesischen „Welt-Internet-Konferenz“ (WIC) einen 20-Punkte-Plan für eine „gemeinschaftliche Zukunft im Cyberspace“. Dieser Plan geht in vielen Punkten über die GIDS hinaus. Der Status des „Wuzhen-Papiers“ ist aber unklar und ist eher ein „Appell“ denn ein Verhandlungsvorschlag.
  4. UNO: Die 75. UN-Vollversammlung (UNGA) verabschiedete im Dezember mehrere Resolutionen zur Cybersicherheit und zur digitalen Zusammenarbeit. Dabei sind zwei Beschlüsse von besonderer Bedeutung: Am 31. Dezember 2020 verlängerte die UNGA mit der UN-Resolution 75/204 das Mandat der erst 2018 gegründeten Open Ended Working Group (OEWG) bis zum Jahr 2025. Damit wurde de facto ein neues, permanentes UN-Gremium geschaffen, das sich zukünftig mit Cybersicherheit befasst. Ein weiterer zukunftsorientierter Beschluss war die Annahme der UN-Resolution 75/176 zum „Right to Privacy in the Digital Age“ an. Diese UN-Resolution ist das bislang umfangreichste UN-Dokument, das sich mit den Folgen von elektronischer Massenüberwachung, dem Einsatz künstlicher Intelligenz, Algorithmen und biometrischer Datenerfassung für den Schutz der individuellen Menschenrechte auseinandersetzt;  
  5. G20/BRICS/SCO: Die Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs im Rahmen der G20 (unter der Präsidentschaft von Saudi-Arabien) sowie der BRICS und der Shanghai Cooperation Organisation/SCO (unter der Präsidentschaft von Russland) fanden als virtuelle Meetings im November 2020 statt. Bei allen Meetings standen Cybersicherheit und Digitalwirtschaft auf der Tagesordnung. Konkrete Absprachen oder gar neue Verträge gab es nicht.
  6. Militarisierung Cyberspace: Die NATO hat im November 2020 ihre Strategie für militärische Auseinandersetzungen im Cyberspace und hybride Kriege präzisiert. Die Diskussionen um die Militarisierung des Cyberspace haben sich nach dem Einsatz von bewaffneten Drohnen im Kaukasus-Krieg im November 2020 weiter zugespitzt.
  7. Digitalsteuer & Digitalhandel: Die OECD/G20/BEPS-Verhandlungsgruppe legte am 15. November 2020 den Entwurf eines möglichen Abkommens für eine globale Digitalsteuer vor. Die Joint Initiative von 89 WTO Staaten präsentierte am 7. Dezember 2020 einen „konsolidierten Vertragsentwurf“ für ein WTO-Abkommen zum digitalen Handel.  
  8. Künstliche Intelligenz: UNESCO und Europarat haben ihre Arbeit an Entwürfen für Rechtsinstrumente zur Entwicklung und Anwendung künstlicher Intelligenz intensiviert. Die UNESCO hat ihren Mitgliedern den Entwurf einer Empfehlung zur „Ethik von künstlicher Intelligenz“ zugeleitet. Der Europarat hat am 15. Dezember 2020 eine Machbarkeitsstudie für eine Regulierung künstlicher Intelligenz im Interesse von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte veröffentlicht. Die „Global Partnership on Artificial Intelligence“ (GPAI) hat in Montreal am 3. Und 4. Dezember 2020 den ersten „AI Gipfel“ veranstaltet.

Vier Kernbereiche

Bei den Verhandlungen in den vier Kernbereichen des Internet-Governance-Ecosystems (Cybersicherheit, digitale Wirtschaft, Menschenrechte, Technologieentwicklung) gab es im 4. Quartal 2020 mehr Konfrontation als Kooperation.

Cybersicherheit

Die UN-Verhandlungen zu Cybersicherheit im Rahmen der OEWG und der GGE wurden auf 2021 vertagt. Die OEWG will auf einer Sitzung im März 2021 den Entwurf eines Abschlussberichts diskutieren. Der UN-GGE Bericht wird für Herbst 2021 erwartet. Es entwickelten sich aber neue Formate wie der virtuelle „Informal Multistakeholder Cyber Dialogue“ zwischen Regierungen und nicht-staatlichen Akteuren, der mehr als 30 Empfehlungen zum Berichtsentwurfs des OEWG-Vorsitzenden produzierte. Das Mandat der OEWG wurde bis 2025 verlängert. Vertagt wurde hingegen die geplante konstituierende Sitzung einer neuen UN-Arbeitsgruppe zur Cyberkriminalität. Auch die CCW-Verhandlungen zu internet-basierten tödlichen autonomen Waffensystemen (GGE-LAWS) wurden auf 2021 verschoben. Ungeachtet zahlreicher Aufrufe, den Cyberspace zu friedlichen Zwecken zu nutzen, hat das digitale Wettrüsten im 4. Quartal 2020 zugenommen. Mittlerweile verfügen mehr als 60 Staaten über sogenannte „offensive Cyberkapazitäten“. Der Drohnen-Krieg im Kaukasus hat diese Entwicklung beschleunigt. Auch die kriminelle Nutzung des Cyberspace – vor allem durch die organisierte Kriminalität – ist in Folge der Pandemie beträchtlich angewachsen. Interpol spricht von einer Verdopplung von Straftaten im Internet im Jahr 2020 mit einem geschätzten Schaden von 600 Milliarden US$.

Digitale Wirtschaft

Covid-19 hat sich als globaler Beschleuniger für die Entwicklung der Digitalwirtschaft erwiesen. Insbesondere die großen weltweit operierenden Internet-Unternehmen wie Amazon, Apple, Alibaba, Google, Tencent und andere sind die Gewinner der Pandemie. Diese Entwicklung hat indirekt auch den Abschluss der jahrelangen OECD/G20/BEPS-Verhandlungen zur Einführung eine globalen Digitalsteuer beschleunigt. Am 12. Oktober 2020 wurde der vorläufige Abschlussentwurf eines neuen globalen Regimes für eine Digitalsteuer von der OECD der Öffentlichkeit präsentiert. Das aus zwei Komplexen (Pillar 1 & 2) bestehende Vertragswerk soll im Sommer 2021 unterzeichnet werden.

Parallel dazu wird sich die gleichfalls für Sommer 2021 geplante Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO) in Kasachstan mit der Zukunft des digitalen Handels (und eventuellen Zöllen auf digitale Dienstleistungen) beschäftigen. Am 7. Dezember 2020 hatte dazu eine WTO-Verhandlungsgruppe einen „konsolidierten Vertragsentwurf“ für ein WTO-Abkommen zum digitalen Handel vorgelegt. Im 4. Quartal 2020 wurde auch die Debatte um eine Regulierung der Internet-Plattformen neu entfacht. Nach einem Hearing im US-Kongress mit den CEOs führender Silicon-Valley-Unternehmen (Facebook, Apple, Google, Amazon), das im Juli 2020 stattfand, haben sowohl die USA (in einem Bericht des US Congress Judiciary Subcommittee on Antitrust, Commercial, and Administrative Law vom 6. Oktober 2020) als auch die Europäische Kommission (in den Entwürfen für einen Digital Services Act/DSA und einen Digital Market Act/DMA vom 15. Dezember 2020) konkrete Pläne für eine Internet-Plattform-Regulierung vorgelegt.  

Menschenrechte

Die 75. UN-Vollversammlung verabschiedete einstimmig die UN-Resolution 76/176 zum „Right to Privacy in the Digital Age“. Das Thema „Schutz der Privatsphäre“ wurde nach den Snowden-Enthüllungen 2013 von Deutschland und Brasilien auf die UN-Tagesordnung gesetzt. Die neue Resolution ist das bislang umfangreichste UN-Dokument, das sich zum Thema Privatsphäre mit Blick auf neue technologische Entwicklungen (Algorithmen, künstliche Intelligenz, biometrische Erkennungsmethoden, Massenüberwachung, Kryptographie, Anonymisierungstechniken, Tracking & Tracing) äußert und dabei die Konsequenzen für den Schutz individueller Menschenrechte aufzeichnet. Die UN-Resolution enthält zwar keine konkreten vertraglichen Verpflichtungen, gibt aber Empfehlungen, wie Staaten und Unternehmen menschenrechtskonforme Politiken, Regularien, Verfahren, Produkte und Dienstleistungen im Zusammenhang mit neue Informations- und Kommunikationstechnologien entwickeln sollen. In den Berichten der Sonderberichterstatter des UN-Menschenrechtsausschusses an die UN-Vollversammlung (Joe Cannataci für Datenschutz und Irene Khan für Meinungsäußerungsfreiheit) war beklagt worden, dass unilaterale Aktivitäten zur Einschränkung der individuellen Menschenrechte mit Verweis auf Pandemie, Terrorismus, Randalierer, Fakenews und Hatespeech zunehmen. Auslöser von Diskussionen war auch die Errichtung eines von Facebook seit langem angekündigten unabhängigen Komitees (Oversight Board) zur Eliminierung von rechtswidrigen Inhalten, die bei Facebook und ihren Tochtergesellschaften gepostet werden. Die Löschungen und das Sperren von Informationsinhalten durch private Unternehmen hat die Frage nach unabhängigen und neutralen Institutionen im Cyberspace aufgeworfen, die mit einer demokratischen Legitimation ausgestattet kontroverse Inhalte auf rechtsstaatliche Weise moderieren und kuratieren können.  

Technologie

Die Diskussion zu den Themen künstliche Intelligenz und technische Standardisierung weiten sich aus, kommen aber nur langsam voran. Ein Schritt vorwärts ist die Präsentation der „Machbarkeitsstudie zur Regelung künstlicher Intelligenz“ des Europarates am 15. Dezember 2020. Die Studie enthält eine Reihe von Optionen zur Schaffung von rechtlichen Rahmenbedingungen für die Entwicklung, den Einsatz und die Nutzung von künstlicher Intelligenz. In der UNESCO wird für das 1. Quartal 2021 der Entwurf einer „Recommendation on the Ethics of Artifical Intelligence“ erwartet. Dieses normative Instrument soll von der 41. UNESCO-Generalkonferenz im November 2021 verabschiedet werden. Verhandlungen zu weiteren normativen Instrumenten in der WIPO und der OSZE treten auf der Stelle. Ähnlich verzögern sich Debatten in den Standardisierungsgremien. Die alle vier Jahre stattfindende World Telecomunication Standardisation Assembly (WTSA) der ITU wurde vom November 2020 zunächst auf Februar 2021 und später auf März 2022 verschoben. Die Debatte um ein neues Internet-Protokoll, ausgelöst durch ein Paper für eine ITU Focus Group, wurde in den ITU Study Groups 11 und 13 im November 2020 fortgesetzt, führte aber zu keinen neuen Entwicklungen. Die IETF und andere Standardisierungsorganisationen (SDOs) haben alle geplanten Treffen im 4. Quartal 2020 in den virtuellen Raum verlegt. Das betrifft auch die Planung für Treffen im 1. Halbjahr 2021. 

Zwischenstaatliche Ebene

Im Einzelnen waren im 4. Quartal 2020 auf der zwischenstaatlichen Ebene die folgenden Aktivitäten von Belang:

  • Die UN-Vollversammlung verabschiedete im Dezember 2020 mehrere Resolutionen, die sich mit digitalen Themen befassen. Bemerkenswert sind insbesondere die UN-Resolutionen 75/240 zu Cybersicherheit, 75/202 zur nachhaltigen Entwicklung und dem WSIS Follow-Up sowie 75/176 zum Schutz der Privatsphäre.
  • Das G20-Gipfeltreffen unter der Präsidentschaft von Saudi-Arabien fand am 21. November 2020 virtuell statt. Im Zentrum stand die Bekämpfung der Pandemie. Die bereits im Sommer gefassten Beschlüsse der Digitalminister wurden von den Staats- und Regierungschefs bestätigt.
  • Die BRICS- und SCO-Gipfeltreffen unter der Präsidentschaft von Russland fanden virtuell am 20. November 2020 statt. Konkrete Ergebnisse hinsichtlich zur digitalen Zusammenarbeit und Cybersicherheit gab es nicht. Auch die Ausarbeitung eines von Russland seit Jahren angestrebten „plurilateralen Cybersicherheitsabkommen“ zwischen den fünf BRICS-Staaten kommt nicht voran.
  • Die von der OECD geführten BEPS-Verhandlungen zu einer globalen Digitalsteuer, an der sich 137 Regierungen beteiligen, sind trotz des Austritts der USA zu einem erfolgreichen vorläufigen Ende geführt worden. Am 15. November 2020 wurde von der G20/OECD/BEPS-Verhandlungsgruppe ein weitgehend unterschriftsreifer Vertragsentwurf präsentiert. Ziel ist es, die Verhandlungen im 1. Quartal 2021 abzuschließen und das neue Regime Mitte 2021 in Kraft zu setzen. Ein Treffen der G20-Finanzminister ist für den Juli 2021 unter der italienischen G20-Präsidentschaft in Venedig geplant.
  • Das aus dem Jahre 1998 stammende WTO-Moratorium zum elektronischen Geschäftsverkehr ist, wegen der Verschiebung der 12. WTO-Ministerkonferenz ins Jahr 2021, weiterhin in Kraft. Am 7. Dezember 2020 wurde ein „konsolidierter Vertragsentwurf“ für ein neues WTO-Abkommen zum digitalen Handel auf der Basis des von der japanischen G20-Präsidentschaft 2019 vorgeschlagenen Prinzips „Data Free Flow with Trust“ (DFFT) vorgestellt. Der konsolidierte Entwurf wird von 87 Staaten, die rund 90 Prozent des weltweiten E-Commerce abwickeln, getragen. Indien, Indonesien, Südafrika und einige weitere Entwicklungsländer lehnen das Projekt ab. Die 12. WTO-Ministerkonferenz ist für Juli 2021 in Nur-Sultan (Kasachstan) geplant.
  • Die Europäische Kommission hat im 4. Quartal ein ganzes Paket von Gesetzesentwürfen, Strategiepapieren und Aktionsprogrammen verabschiedet mit denen, die von der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, ausgerufene „Europäische Digital Dekade“ untersetzt werden soll. Hervorzuheben sind dabei die beiden am 15. Dezember 2020 präsentierten Gesetzesentwürfe zur Regulierung von digitalen Märkten und Plattformen (Digital Service Act/DSA & Digital Market Act/DMA). Weitere Projekte sind ein neuer „Data Governance Act, der Entwurf einer neuen Cybersicherheits-Direktive (NIS-2) sowie Strategiepapiere zur Medienpolitik, zur transatlantischen Partnerschaft und zur digitalen Kooperation mit dem „Rest der Welt“, vor allem mit Afrika.   
  • Die Ad-hoc-Arbeitsgruppe zur Künstlichen Intelligenz (CAHAI) des Europarates hat am 15. Dezember ihre „Machbarkeitsstudie“ für die Schaffung einer rechtlichen Rahmenordnung für Künstliche Intelligenz vorgelegt.
  • Die Konsultationen zu dem Entwurf der Ad-hoc-Experten-Gruppe (AHEG) zur „Ethik Künstlicher Intelligenz“ im Rahmen der UNESCO wurden im Dezember 2020 beendet. Der finale Entwurf wird für das 1. Quartal 2021 erwartet. Er soll im November 2021 bei der 41. UNESCO-Generalkonferenz verabschiedet werden.
  • Die ITU hat zahlreiche für das 4. Quartal 2020 geplanten Konferenzen – darunter die alle vier Jahre stattfindenden World Telecommunication Development Conference (WTDC) und die World Telecommunication Standardization Assembly (WTSA) auf Oktober 2021 bzw. März 2022 verschoben.
  • Die WIPO hat im Dezember 2020 einer dritte Konsultationsrunde zum Thema „Geistiges Eigentum und Künstliche Intelligenz“ – erstmalig unter Leitung des neuen WIPO-Generalsekretärs, Daren Tang – abgeschlossen. Erwartet wird ein Bericht mit Empfehlungen für das weitere Vorgehen im 1. Quartal 2021.
  • Die von der OSZE geplante Konferenz zum Thema „Freie Meinungsäußerung und Künstliche Intelligenz“ ist in das 1. Halbjahr 2021 verschoben worden.
  • Die NATO hat am 25. November 2020 ihrem Bericht „NATO 2030: United for a New Era“ mit Empfehlungen für den Umgang mit “Emerging and Disruptive Technologies“ und „Hybrid and Cyber Threats“ veröffentlicht.

Multistakeholder-Ebene

Auf der Multistakeholder- und nicht-staatlichen Ebene sind im 4. Quartal 2020 die folgenden Aktivitäten zu verzeichnen:

  • Das 15. IGF fand im November 2020 als ein virtuelles Meeting in zwei Phasen statt. Über 6.000 Teilnehmer hatte sich registriert. Zu den Ergebnissen des vIGF zählen die „IGF-Messages“, Empfehlungen und Berichte der Best Practice Fora (BPFs) und der Dynamic Coalitions (DCs) sowie das Abschlussdokument des 2. Parlamentarischen IGF Roundtable.
  • Die Freedom Online Coalition (FOC) hat am 5. November 2020 zwei „Joint Statements“ zur „Künstliche Intelligenz“ und „Desinformation“ veröffentlicht. Finnland übernimmt 2021 die FOC-Präsidentschaft.
  • Das in Den Haag ansässige „Global Forum on Cyberexpertise“ (GFCE) hat am 24. November 2020 auf seiner virtuellen Jahrestagung einen umfassenden Plan für den weltweiten Aufbau von Zentren zum „Cyber Capacity Building“ verabschiedet.
  • Die von Siemens initiierte „Charter of Trust“ (COT) hat am 22. Oktober 2020 die COT-Phase 2 bekanntgegeben mit der ein „Global Ecosystem of Trust“ basierend auf einer „Knowledge Sharing Community“ entwickelt werden soll.  
  • Der von Microsoft initiierte „Tech Accord“ hat am 12. November 2020 zwei Studien zu Cyberhygiene und zur Rechtswidrigkeit von Selbstjustiz im Cyberspace (Hack Back) veröffentlicht.  
  • Die World Wide Web Foundation hat zum 1. Jahrestag der Unterzeichnung des „Contract for the Web“ zu einem „Race to the Top“ aufgefordert. Best-Practice-Beispiele, die zu einem sicheren und freien Internet beitragen, sollen publik gemacht werden.
  • Das Freedom House hat in seinem 2020er-Jahresbericht „Freedom of Net“ beklagt, dass im Gefolge der Pandemie weltweit Einschränkungen der Internetfreiheit zunehmen.
  • Am 14. Oktober 2020 präsentierte „Access Now“ den Schlussbericht der Internet-Konferenz „RightsCon“ bei der im Juli 2020 mehr als 7.000 Teilnehmer in 309 Sessions diskutiert hatten.
  • Für den virtuellen 2020er Lissaboner Web Summit vom 2. – 4. Dezember 2020 hatten sich über 100.000 Teilnehmer registriert. Der Web-Summit fand als virtuelles Meeting statt.
  • Die 8. Interpol-Europol-Cybercrime-Konferenz stellte am 6. Oktober 2020 ein durch die Pandemie beschleunigtes Wachstum von Cyberkriminalität fest und beklagte ein mangelndes öffentliches Bewusstsein hinsichtlich der Gefahren im Cyberspace.
  • Das „Global Internet Forum to Counter Terrorism“ (GIFTC) hat am 17. Dezember 2020 mit der Aufnahme neuer Mitglieder seine „Tech Against Terrorism“ (TAT) Partnerschaft gestärkt.
  • Im November 2020 haben die von Facebook ernannten unabhängigen Gremien zum Umgang mit kontroversen Informationsinhalten (Treuhandrat und Oversight Board) mit der Behandlung der ersten Fälle begonnen.
  • Der jährliche „Cybergipfel“ der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) ist in den Sommer 2021 verschoben worden.
  • Das Davoser Weltwirtschaftsforum (WEF) hat im November 2020 zwei Studien zu „State of the Connected World“ und „Partnership against Cybercrime“ vorgestellt.
  • Die Präsidenten von Kanada und Frankreich, Trudeau und Macron, eröffneten am 4. Dezember 2020 den ersten (virtuellen) Gipfel der „Global Partnership on Artificial Intelligenz“ (GPAI).

Wir brauchen starke Institutionen, die durch ein starkes Engagement der Mitgliedsländer gestützt werden. Unser internationales System wird schon zu lange in Geiselhaft gehalten. Es ist an der Zeit, diesen Trend umzukehren. Institutionen zu reformieren, die reformbedürftig sind. Multilaterale Abkommen neu zu beleben, die für unsere gemeinsame Sicherheit unerlässlich sind. Neue Bündnisse zur Lösung der drängendsten Fragen unserer Zeit zu schmieden. Ein solches Bündnis brauchen wir für die digitale Welt. Das ist meiner Meinung nach ein Bereich, in dem Europa die Initiative ergreifen und mit den USA und anderen Nationen zusammenarbeiten kann. Wir müssen ein Regelwerk für die digitale Wirtschaft und die Gesellschaft erarbeiten, das alles abdeckt, von Big Tech bis Datennutzung und Privatsphäre, von Infrastruktur bis Sicherheit.

Online-Plattformen haben einen enormen Einfluss und große wirtschaftliche Macht erlangt. Die Art und Weise, wie sie sich verhalten, hat nicht nur Auswirkungen auf den freien und fairen Wettbewerb in der Geschäftswelt. Ihr Verhalten wirkt sich auch auf unsere Demokratien aus, hat Einfluss auf unsere Sicherheit und die Qualität der Informationen, die wir erhalten. Dieser ungeheuer großen Macht müssen wir mit angemessenen Regeln begegnen. Unsere Werte müssen sowohl online als auch offline geschützt sein. Grundsätzlich bedeutet das, was offline illegal ist, sollte auch online illegal sein - und solche Rechtswidrigkeiten sollten offline und online mit gleicher Effektivität verfolgt werden. Schauen wir auf illegale Hassreden und terroristische Propaganda. Die letzten Wochen haben wieder einmal gezeigt, wie dringend wir hier handeln müssen. Wir werden eine umfassende Reform im Rahmen des Digital Services Act vorschlagen. Diese wird über unseren auf terroristische Inhalte gerichteten Vorschlag hinausgehen und deutlich strengere Regeln für die Entfernung jeglicher illegaler Inhalte schaffen – wobei gleichzeitig der Schutz der Meinungsfreiheit gewährleistet bleibt. Sie wird die Verantwortungen von Online-Plattformen klar benennen: Sie müssen ihre Geschäftskunden kennen, transparenter machen, wie sich Inhalte verbreiten, und zeigen, wie sie darauf reagieren.

Gleichzeitig schlagen wir ein Gesetz über digitale Märkte vor. Darin werden Instrumente festgelegt, mit denen die wirtschaftliche Macht von Gatekeeper-Plattformen rechtzeitig eingedämmt werden kann, um fairen Wettbewerb und Innovationen zu schützen. Dies werden die Regeln sein, die gelten, um in Europa zu operieren. Aber auch unsere globalen Partner müssen ihre Standards anheben. Der europäische Weg bei digitalen Dienstleistungen und Märkten kann anderen, die mit den gleichen Herausforderungen konfrontiert sind, als Modell dienen. Und so wird unsere Lösung zur einer wichtigen Komponente unserer Diplomatie.

Viele große Digitalunternehmen gehen mit einem höheren Gewinn und einem größeren Marktanteil als je zuvor aus der Krise hervor. Das ist in Ordnung. Wer im Europäischen Binnenmarkt Geschäfte macht und damit von unserer Infrastruktur, unserem Bildungs- und unserem Sozialsystem profitiert, der darf gerne Gewinne machen. Aber unser Sozialvertrag erwartet, dass solche Gewinner angemessene Steuern zahlen, um einen Beitrag zur sozialen Marktwirtschaft zu leisten. Es kann nicht sein, dass Handelsriesen in größtem Maße von unserem Binnenmarkt profitieren, aber keine Steuern zahlen, wo diese eigentlich für sie fällig würden. Damit wird die Akzeptanz der sozialen Marktwirtschaft untergraben, und das werden wir nicht länger tolerieren. Umso dringlicher ist es, zu einem internationalen Abkommen über die Besteuerung digitaler Geschäfte und über eine globale Mindestbesteuerung zu kommen. Unser Ziel bleibt eine konsensbasierte Lösung auf OECD- und G20-Ebene zu beiden Säulen der globalen Diskussion. Aber eines steht außer Frage: Sollte eine Einigung zustande kommen, die kein faires Steuersystem vorsieht, wird Europa eigene Maßnahmen ergreifen. Die neue Frist bis Mitte 2021 muss die letzte sein. Sollte eine Einigung nicht zu einem fairen Steuersystem führen, das langfristig nachhaltige Einnahmen bringt, werden wir unseren eigenen Vorschlag vorlegen. Eine faire Besteuerung ist eine grundsätzliche Frage der Fairness. Jeder muss seinen fairen Beitrag leisten, insbesondere diejenigen, die von dieser Krise profitieren. Die digitale Wirtschaft sollte zum Wohle aller sein, nicht nur ein paar Privilegierten dienen.

Dafür brauchen wir globale Regeln und müssen international zusammenarbeiten. Und Europa muss die führende Kraft hin zu einer internationalen Zusammenarbeit in digitalen Fragen sein.

Ursula von der Leyen, Präsidentin der EU-Kommission, 10. November 2020
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