Q2/2019 - UN High-Level Panel on Digital Cooperation
Helsinki, 2. - 3. April 2019 und New York, 10. Juni 2019
Nach einer dritten Arbeitssitzung Anfang April 2019 in Helsinki legte das von UN-Generalsekretär António Guterres berufene „High-Level Panel on Digital Cooperation“ seinen Abschlussbericht unter dem Titel „The Age of Digital Interdependence“ am 10. Juni in New York vor. Neben Guterres wurde der Bericht von den beiden Ko-Vorsitzenden – Melinda Gates von der Microsoft Stiftung und Jack Ma, CEO von Alibaba – präsentiert. Der 40 Seiten umfassende Bericht beschreibt in drei Kapiteln die heutigen Internet-Probleme[1] und gibt fünf Empfehlungen zur Entwicklung der digitalen Zusammenarbeit:
- Build an Inclusive Digital Economy and Society
- Develop Human and Institutional Capacity
- Protect Human Rights and Human Agency
- Promote Digital Trust, Security and Stability
- Foster Global Digital Cooperation
Die 20 Mitglieder des Panels[2] schlagen eine aus vier Paragraphen bestehende „Declaration of Digital Interdependence“ vor[3]. Am Schluss des Berichts werden drei Modelle zur Diskussion gestellt, wie und mit welchen Mechanismen diese erweiterte digitale Zusammenarbeit in den 2020er Jahren umgesetzt werden soll.
Bei der Präsentation unterstrichen Melinda Gates, António Guterres und Jack Ma, dass sich das Panel einig war, dass die gegenwärtigen Mechanismen zum Management der neuen globalen digitalen Herausforderungen unzureichend sind. Die Entwicklung des Internet hat traditionelle Grenzen zwischen Sachbereichen, Stakeholdern und Staaten durchlöchert oder ganz beseitigt und zu einer neuen Qualität von wechselseitiger Abhängigkeit zwischen Staaten, Stakeholdern und Sachbereichen geführt. Notwendig sei daher eine erweiterte digitale Kooperation über Länder-, Sektor- und Stakeholder-Grenzen hinweg.
Insgesamt enthalten die fünf Empfehlungen des Berichts nur wenig Neues. In der kurzen Zeit, die dem Panel zur Verfügung stand, konnte man auch nicht mehr erwarten als eine Zusammenfassung von Vorschlägen und Ideen, die in den letzten Jahren von einzelnen Stakeholdergruppen oder Regionen – z.B. im Rahmen der NetMundial-Konferenz von 2014, auf die sich das Panel ausdrücklich bezieht – gemacht wurden. Mit der Legitimität der Vereinten Nationen und der Autorität der Mitglieder des Panels gewinnen diese Ideen, die nun in eine gewisse Struktur gebracht wurden, aber ein höheres Maß an Relevanz. Ob dies auch zu mehr Durchschlagskraft führt, wird sich jedoch erst noch zeigen müssen.
Bei der Feststellung, dass eine globale und erweiterte digitale Kooperation multilateral, Multistakeholder-gemäß und multidisziplinär organisiert werden müsse, räumt das Panel mit dem jahrelangen, mehr ideologisch geprägten Konflikt zwischen „Multilateralismus“ und „Multistakeholderismus“ auf. Dieser Konflikt hat seit dem WSIS-Gipfel 2005 viele Internet-Konferenzen blockiert. Das UN-Panel macht deutlich, dass sich die beiden Konzepte ergänzen und wechselseitig bedingen. Jeder Stakeholder hat seine Rolle zu spielen, keiner kann durch einen anderen ersetzt werden, alle sind dazu gezwungen, Hand in Hand zu arbeiten, wenn nachhaltige Lösungen für die lange Liste von Internet relevanten Problemen gefunden werden sollen[4]. Zurück gewiesen wurde jedoch das Konzept eines Internet-Unilateralismuses. Keine Regierung und auch kein einzelnes Internet-Unternehmen könne die mit der Digitalisierung verbundenen Probleme allein lösen. Alleingänge trägen das Risiko unerwünschter Nebeneffekte für das globale Internet Governance Ecosystem in sich.
Bei den Sachfragen konzentriert sich der Bericht auf drei Bereiche: Cybersicherheit (Trust, Security and Stability), Digitale Wirtschaft (Inclusive Digital Economy and Society) und Menschenrechte (Human Rights and Human Agency).
- Im Bereich von Cybersicherheit schlägt das Panel die Ausarbeitung eines „Global Commitment on Digital Trust and Security“ vor. Dieser nicht genauer spezifizierte Vorschlag ist offensichtlich inspiriert von dem im November 2018 verabschiedeten „Paris Call on Trust and Security“ und von der Arbeit der Global Commission on Stability in Cyberspace“, die die Ausarbeitung eines globalen „Cyberstability Frameworks“ anregt[5].
- Im Bereich der Digitalwirtschaft wird darauf gedrängt, bis zum Jahr 2030 allen Erwachsenen dieser Welt einen erschwinglichen Zugang zum Internet zu garantieren. Unter Berufung auf die nachhaltigen UN-Entwicklungsziele (SDGs) soll eine „breite Multistakeholder-Allianz“ helfen die notwendigen Ressourcen zu mobilisieren. „Digital Inclusion“ und „Digital Equality“ sei insbesondere wichtig für Frauen oder benachteiligte Gruppen[6].
- Im Bereich der Menschenrechte gibt sich das Panel nicht mit der Feststellung des UN-Menschenrechtsrates zufrieden, wonach alle Menschenrechte offline wie online gelten, sondern fordert eine präzisere Abklärung, wie die existierenden menschenrechtlichen Instrumente im digitalen Zeitalter in einen proaktiven und transparenten Prozess angewandt und umgesetzt werden können. Hinsichtlich autonomer Systeme und künstlicher Intelligenz sagt das Panel, dass solche Entwicklungen sich nicht verselbständigen dürfen und unter Kontrolle von Menschen bleiben müssen, die auch im Falle von Missbräuchen zur Verantwortung gezogen werden können[7].
Das Panel konnte sich – ähnlich der UN-WGIG im Jahr 2005 – nicht auf ein Modell für einen Mechanismus der erweiterten digitalen Zusammenarbeit einigen. Es stellt daher drei Modelle zur Diskussion: 1. Internet Governance Forum Plus; 2. Distributed Co-Governance Architecture und 3. Digital Commons Architecture.
- Das IGF Plus Modell baut auf dem seit 2006 existierenden IGF auf und zielt darauf, die beim IGF sichtbar gewordenen Schwächen auszubügeln, insbesondere was konkrete Ergebnisse, hochrangige Beteiligung von Regierungen und Privatwirtschaft und Repräsentanz von Entwicklungsländern betrifft. Eine „Advisory Group“, eng verbunden mit dem IGF-MAG, solle die Gesamtkoordinierung übernehmen. Ein „Cooperation Accelorator“, ein „Policy Incubator“, ein „Observatory und Help Desk“ sowie ein „Trust Fund“ wären weitere Instrumente, um Struktur und Finanzen des bestehenden IGFs zu stärken[8].
- Die Idee einer Distributed Co-Governance Architecture (COGOV) wirkt auf den ersten Blick verwirrend. Ein COGOV würde aus sich selbst formierenden horizontal operierenden Netzwerken zu einzelnen, kleingeschnittenen Sachfragen bestehen und ein „Netzwerk von Netzwerken“ bilden, das durch eine „Network Support Platform“ unterstützt würde. Vorbild hierfür sind die I*-Organisationen, vornehmlich ICANN und IETF[9].
- Die Digital Commons Architecture (DCA) würde gleichfalls aus einer Vielzahl sachbezogener Gruppen bestehen, die unabhängig voneinander als ständige Gremien permanent zu Themen von allgemeinem Interesse arbeiten und einmal im Jahr zusammenkommen, um sich auszutauschen und wechselseitig zu informieren. Inspiriert ist dieses Modell von dem Konzept des gemeinsamen Erbes der Menschheit, wie es von der UN-Seerechtskonvention in den 70er Jahren eingeführt wurde, wonach für gemeinsame Ressourcen der Erde auch gemeinsame Anstrengungen zu deren Bewahrung und Entwicklung benötigt werden. Funktionieren würde DCA wie ein „Clearinghouse“[10].
Der Bericht wird nicht den Regierungen der Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen bei der kommenden 74. UN-Vollversammlung im Herbst 2019 zur Beurteilung vorgelegt. Nach Angaben von UN-Generalsekretär António Guterres soll er von allen Stakeholdern in den kommenden Wochen und Monaten informell diskutiert werden, so z.B. auch auf dem 14. IGF im November 2019 in Berlin. Der Diskussionsprozess soll u.a. von einem neu zu bestellenden „UN Technology Envoy“ organisiert werden. Ziel ist es, die Diskussion so weit voranzutreiben, dass bis zum 75. Jahrestag der Vereinten Nationen, dem 24. Oktober 2020, ein Dokument in Form eines Multistakeholder „Global Commitment for Digital Cooperation“ vorliegt. Wer der neue UN-Technologiebotschafter wird und nach welchem Verfahren er berufen wird, ist noch unklar. Unklar ist auch, wie der Diskussionsprozess – und hier insbesondere der Prozess zur Ausarbeitung des anvisierten „Global Commitment for Digital Cooperation“ – organisiert werden soll. Die Vorbereitung der NetMundial-Konferenz von 2014 könnte dabei als eine „Quelle der Inspiration“ dienen. Es ist auch möglich, dass dies verbunden wird mit der Vorbereitung der von der ITU im April 2020 geplanten hochrangigen Regierungskonferenz zum 15. Jahrestag der Verabschiedung der Tunis-Agenda im Rahmen des WSIS-Forums.