Q2/2021 - UNESCO
Windhoek +30-Deklaration, Windhoek, 3. Mai 2021
Anlässlich des 30 Jahrestages der Verabschiedung der Windhoek Declaration von 1991 fand vom 29. April bis zum 3. Mai 2021 in Windhoek/Namibia eine hochrangige UNESCO-Konferenz zum Thema „Information as a Public Good“ statt. 1991 hatte die UNESCO bei einer Konferenz in Windhoek die jahrelange ideologisch kontroverse Debatte um eine „New World Information and Communication Order“ (NWICO) beendet und sich uneingeschränkt zum Recht auf freie Meinungsäußerung, wie es in Artikel 19 der UN-Menschenrechtsdeklaration von 1948 verankert ist, bekannt. Seither wird der 3. Mai jährlich als „Welttag der Pressefreiheit“ begangen. Bei der 2021er Konferenz wurde eine „Windhoek +30-Deklaration“ verabschiedet, in der auf die seither stattgefundenen Veränderungen – digitale Revolution und Entwicklung des Internet - eingegangen wird. Die „Windhoek+30-Deklaration“ stellt fest, dass die Bedrohungen der Pressefreiheit in den letzten dreißig Jahren nicht geringer geworden sind. Heute würde die Freiheit durch Internet-Shutdowns und durch von künstlicher Intelligenz gesteuerte autonome Systemen, die Informationsinhalte blockieren, filtern und löschen, bedroht. Die Deklaration bezieht sich auf die von UN-Generalsekretär António Guterres im Juni 2020 veröffentliche „Roadmap for Digital Cooperation“ und erinnert an die sogenannte ROAM-Prinzipien (Rights, Openness, Accessibility & Multistakeholder), die der Arbeit der UNESCO im Bereich von Internet Governance zugrunde liegen. Die Deklaration enthält insgesamt 16 Empfehlungen an Regierungen, zwischenstaatliche Organisationen, Technologieunternehmen, Journalisten, Medien, zivilgesellschaftliche Organisationen, Netzwerke und akademische Einrichtungen. [1]
Treffen der Ad Hoc Expert Group (AHEC), April & Juni 2021
Vom 26. – 30. April 2021 und vom 21. bis 25 Juni 2021 fanden zwei Treffen des „Intergovernmental Special Committee of Experts“ statt, die den Entwurf einer UNESCO-Empfehlung zur Ethik künstlicher Intelligenz diskutierten. Die Ausarbeitung eines solchen Instruments hatte die 40. UNESCO-Generalkonferenz im Oktober 2019 beschlossen (UNESCO-Doc 40C/37). Eine 24-köpfige „Ad Hoc Expert Group“ (AHEC) hatte daraufhin erste Entwürfe ausgearbeitet, die in mehreren Offline- und Online-Konsultationen, auch in verschiedenen UNESCO-Regionen, diskutiert wurden. Der jetzt vorliegende konsolidierte Entwurf wird nun an die UNESCO-Mitgliedstaaten zu einer finalen Kommentierung übersendet. [2] Es wird erwartet, dass die Empfehlung bei der bevorstehenden 41. UNESCO-Generalkonferenz im November 2021 in Paris verabschiedet wird.
- Das Mandat für die AHEC sah die Ausarbeitung eines „international standard setting instrument on the ethics of artificial intelligence“ vor. Die AHEC hat sich entschieden, eine „Empfehlung“ (Recommendation) vorzuschlagen und keinen völkerrechtlichen Vertrag, wie ihn etwa der Europarat anstrebt. Eine völkerrechtlich nicht bindende Empfehlung hat nicht nur größere Chance von der UNESCO-Generalkonferenz im November 2021 verabschiedet zu werden, sie eröffnet auch größere Flexibilität bei ihrer Umsetzung und berücksichtigt unterschiedliche historische und kulturelle Gegebenheiten in den UNESCO-Staaten.
- Der Schlussbericht über den Entwurfstext betont noch einmal die Notwendigkeit zur Ausarbeitung eines normativen Instruments, das sich speziell mit der Ethik der künstlichen Intelligenz auseinandersetzt. Das habe nicht nur mit den spezifischen Kompetenzen der UNESCO zu tun. Die Corona-Krise habe deutlich gemacht, das KI an vielen Stellen eine Hilfe sei, aber auch mit erheblichen Risiken verbunden wäre. KI-Technologien seien nie wertfrei oder neutral. Je nachdem, welche Daten den Anwendungen zugrunde liegen, könnten sie auch Diskriminierung produzieren und ethische Grundsätze verletzen. KI sei eine „distributed technology, whose practical governance spread across numerous institutions, organisations and companies“. Für „good AI-governance“ brauche man daher einen pluralistischen, multidisziplinären, multikulturellen und Multistakeholder Ansatz. [3]
- Die von der AHEC vorgeschlagene Empfehlung enthält keine Definitionen. Trotz intensiver akademischer Debatte wurde kein Konsens zur Definition von Kategorien wie „AI Ethics“, „AI Systems“, „AI System Life Cycle“, „AI Actors“ oder „AI Technologies“ erzielt. Die Empfehlung konzentriert sich daher auf „Beschreibungen“. Dies erlaube eine dynamische Interpretation und würde auch zukünftige, heute noch nicht bekannte Entwicklungen einfangen können.
- Die AHEC-Empfehlung basiert auf zwei Komplexen.
- Der erste Komplex enthält zwei Sektionen zu „Werten“ und „Prinzipien“. Die in vier Abschnitten definierten Werte beziehen sich auf die menschliche Würde, Freiheit, Frieden, Umwelt, Diversität und Inklusion. Die zehn Prinzipien betreffen Proportionalität, Sicherheit, Fairness, Nachhaltigkeit, Datenschutz, Menschliche Aufsicht, Erklärbarkeit und Transparenz, Verantwortung, Bewusstsein und Multistakeholder Governance.
- Der zweite Komplex enthält eine Reihe von Empfehlungen für insgesamt elf definierte Politikfelder:
- 1. POLICY AREA 1: ETHICAL IMPACT ASSESSMENT
- 2. POLICY AREA 2: ETHICAL GOVERNANCE AND STEWARDSHIP
- 3. POLICY AREA 3: DATA POLICY
- 4. POLICY AREA 4: DEVELOPMENT AND INTERNATIONAL COOPERATION
- 5. POLICY AREA 5: ENVIRONMENT AND ECOSYSTEMS
- 6. POLICY AREA 6: GENDER
- 7. POLICY AREA 7: CULTURE
- 8. POLICY AREA 8: EDUCATION AND RESEARCH
- 9. POLICY AREA 9: COMMUNICATION AND INFORMATION
- 10. POLICY AREA 10: ECONOMY AND LABOUR
- 11. POLICY AREA 11: HEALTH AND SOCIAL WELL-BEING
- Ein Streitpunkt war, inwiefern sich die Empfehlung ausschließlich auf zivile Anwendungen konzentrieren und Diskussionen über die Entwicklung von KI-basierten Waffensystemen aussparen sollte. Die AHEC hat sich dafür entschieden, Fragen, die bei den Verhandlungen zu tödlichen autonomen Waffensystemen (LAWS) verhandelt werden, nicht in die Empfehlung aufzunehmen. Nichtsdestotrotz enthält der Entwurf der UNESCO-Empfehlung ein allgemeines Prinzip, das festlegt, dass KI-Systeme den Menschen nicht von seiner Verantwortung für sein Handeln entbindet und dass Entscheidungen über Leben und Tod nicht an Maschinen delegiert werden können.
- Eine strittige Frage war, inwieweit das von immer mehr Staaten verfochtene Konzept einer „Daten-Souveränität“ mit dem globalen Ansatz einer UNESCO Empfehlung zur KI-Ethik verbunden werden kann. Die AHEC kam nach langen Diskussionen zu dem Schluss, dass das Konzept der Daten-Souveränität und das Konzept des freien Datenflusses (Data Sharing and Data Flow) miteinander koexistieren können, wenn man zwischen verschiedenen Komponenten der Datenverwendung und ihrer Kontrolle differenziert.[4]
- Die Empfehlung baut auf den Richtlinien der OECD-Grundsätze für künstliche Intelligenz von 2019 auf, konzentriert sich aber auf die „ethische Dimension“. Diese Dimension liege im Kompetenzbereich der UNESCO und hier könne die UNESCO auch einen Mehrwert in die globale internationale Debatte einbringen. Die angestrebte Empfehlung könne wie ein „ethischer Kompass“ für alle Regierungen, Stakeholder und internationale Organisationen wirken.