Q3/2021 - USA
US-EU Technologierat, Pittsburgh, 29. September 2021
Am 29. September 2021 tagte in Pittsburgh erstmalig der neue europäisch-amerikanische Handels -und Technologierat (EU-US Trade and Technology Council/TTC). Den Vorsitz teilten sich die Vizepräsidenten der Europäischen Kommission Margrethe Vestager und Valdis Dombrovskis sowie der amerikanische Außenminister Antony Blinken, Wirtschaftsministerin Gina Raimondo und die US-Handelsbeauftragte Katherine Tai. Ziel des beim EU-US-Gipfeltreffen im Juni 2021 vereinbarten TTC ist es, Handels- und Technologiepolitik zwischen der EU und den USA besser zu koordinieren. Im Kern geht es dabei aber nach Meinung von Experten primär um das Internet. Roger Conchetti, ehemaliger Vizepräsident von Verisign schrieb dazu in „The Hill“, einer dem US-Kongress nahe stehenden Publikation: „The real purpose of the TTC is how to manage the internet. While internet policies are only one piece of a much larger, increasingly tense, European-American relationship, the struggle over control of the internet has its own history, and — because of the internet’s impact on society, trade, security, and national politics — internet policy may have now become the single most important feature of the transatlantic relationship.“ [1]
- Im „Pittsburgh Statement“ [2] werden die zukünftigen Aufgaben des TTC beschrieben. „We intend to cooperate on the development and deployment of new technologies in ways that reinforce our shared democratic values, including respect for universal human rights, advance our respective efforts to address the climate change crisis, and encourage compatible standards and regulations. We intend to cooperate to effectively address the misuse of technology, to protect our societies from information manipulation and interference, promote secure and sustainable international digital connectivity, and support human rights defenders“. Beide Seiten betonen aber, dass sie ihre regulatorische Autonomie behalten wollen und die Unterschiede in ihren Rechtssystemen und Jurisdiktionen respektieren.
- Primär gehe es darum, die Aktivitäten der EU und der USA in multilateralen Gremien besser zu koordinieren. Implizit ist damit die Absicht verbunden, den wachsenden chinesischen Einfluss auf internationale Technologieverhandlungen adäquat zu begegnen. Der TTC wird zehn Arbeitsgruppen haben.
- Gesonderte Statements wurden zu den Themen Screening von Investitionen, Zusammenarbeit bei Exportkontrollen, künstliche Intelligenz und Lieferketten im Bereich der Halbleiterproduktion verabschiedet.
- Das „Pittsburgh Statement“ enthält ein deutliches Bekenntnis zum Multistakeholder-Prinzip bei Entwicklung, Anwendung und Governance digitaler Technologien. [3]
- Die für das Internet-relevanten Arbeitsgruppen sind die WG 1 (Technology Standards), WG 3 (Secure Supply Chain), WG 4 (Information and Communication Technology and Services (ICTS), Security and Competitiveness), WG 5 (Data Governance and Technology Platforms) und WG 7 (Misuse of Technology Threatening Security and Human Rights)
- Die WG1 (Technology Standards) soll sich darum kümmern, dass die Entwicklung internationaler Standards für neue digitale Technologie, einschließlich künstlicher Intelligenz, in Übereinstimmung mit demokratischen Werten erfolgt. Beide Seiten wollen sich dafür einsetzen, dass nicht-staatliche Stakeholder angemessen an zukünftigen Standardisierungsprozessen beteiligt sind. „We look forward to fostering participation in standards organizations for civil society organizations, startups, small and medium sized enterprises in emerging technologies“.
- Die WG 3 (Secure Supply Chains) soll sich insbesondere um die Diversifizierung und Sicherung von Lieferketten im Bereich der Halbleiterproduktion kümmern. „The dedicated track on semiconductor issues will initially focus on short-term supply chain issues. Cooperation on mid- and long-term strategic semiconductor issues will begin in the relevant TTC working groups ahead of the next TTC meeting.“
- Die WG 4 (Information and Communication Technology and Services (ICTS) Security and Competitiveness) soll sich mit Cybersicherheit, Interoperabilität, Diversität, Widerstandsfähigkeit von Lieferketten, 5G, Unterseekabel, Cloud-Infrastruktur und anderen Zukunftstechnologien beschäftigen. In enger Kooperation mit allen Stakeholdern soll eine gemeinsame Vision und eine Roadmap für 6G entwickelt werden.
- Die WG 5 (Data Governance and Technology Platforms) soll Konzepte entwickeln für Data Governance und Plattformregulierung. Die EU und die US bekunden ihre Absicht, in diesen kontroversen Bereichen nach interoperablen Lösungen zu suchen, betonen aber ihre regulative Autonomie. „We intend to exchange information and views regarding current and future regulations in both the European Union and the United States with a goal of effectively addressing shared concerns, while respecting the full regulatory autonomy of the European Union and the United States“. Das betrifft auch Themen wie „Illegal and harmful content and their algorithmic amplification, transparency, and access to platforms' data for researchers as well as the democratic responsibility of online intermediaries as well as voluntary and multi-stakeholder initiatives to complement regulatory approaches in some areas.“
- Die WG 6 (Misuse of Technology Threatening Security and Human Rights) soll sich u.a. mit der Anwendung von Überwachungstechnologien, Social Scoring Systemen, Internet-Shutdowns, Desinformationskampagnen sowie der Einmischung in demokratische Prozesse anderer Staaten beschäftigen.
- Von den fünf „TTC Statements“ ist für das Thema Internet Governance insbesondere das TTC Statement zur künstlichen Intelligenz von Interesse. In dem Statement haben sich beide Seiten auf neun Grundsätze geeinigt, wie man gemeinsam die weitere globale Diskussion zur Entwicklung und Anwendung von KI-basierten Technologien und Diensten angehen will. Dabei wurden wesentliche Elemente des von der EU im April 2021 vorgeschlagenen „AI Regulatory Package“ übernommen. Es gibt aber auch Unterschiede in der Herangehensweise. So nehmen beide Seiten lediglich „Kenntnis“ vom Umgang mit möglichen Risiken. Das von der EU vorgeschlagene „Risk based Regulatory Framework for AI“ und das von den USA diskutierte „AI Risk Management Framework“ sind zwar ähnlich, aber in mehreren Punkten inkompatibel. Beide Seiten betonen, dass es gelte die Möglichkeiten künstlicher Intelligenz zu maximieren und die Risiken minimieren. Es gelte eine „vertrauenswürdige und dem Menschen dienende künstliche Intelligenz (Trustworthy and Human Centered AI) zu entwickeln, die in Übereinstimmung steht mit demokratischen Werten und Prinzipien. Beide Seiten distanzieren sich von einem „Rights-Violating Systems of Social Scoring“. Die OECD-Prinzipien von 2019 seien ein gemeinsamer Ausgangspunkt. Die „Global Partnership on Artificial Intelligence“ (GPAI) eine wichtige Plattform zur Entwicklung der Kooperation. [4]
Treffen Biden-Merkel, Washington, 15. Juli 2021
Am 15. Juli 2021 trafen sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Joe Biden in Washington. In der Abschlusserklärung gibt es einen Abschnitt zu neuen Technologien. Merkel und Biden „betonen die Notwendigkeit, auf unseren Bündnissen und Partnerschaften aufzubauen, um den Herausforderungen der Zukunft zu begegnen – einschließlich Cyberbedrohungen, Energiesicherheit, Desinformation, Korruption, Abkehr von der Demokratie und Einflussnahme auf unsere Wahlen. Wir werden zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass die Regeln, Normen und Standards, die für neue Technologien gelten, auf Freiheit und nicht auf Unterdrückung ausgerichtet sind. Das Leben unserer Bürgerinnen und Bürger, unsere Volkswirtschaften und unser geopolitisches Umfeld werden durch Technologie neu gestaltet; sie muss daher unsere zentralen demokratischen Werte widerspiegeln. Wir werden die Zusammenarbeit zwischen unseren Wissenschaftlern, Ingenieuren und Mathematikern vertiefen, um zu gewährleisten, dass durch die großen Innovationen dieses Jahrhunderts demokratische Staatsführung und nicht autoritäre Regierungssysteme gefördert werden. Staaten müssen die Rechte ihrer Bürgerinnen und Bürger schützen, und wir werden der Nutzung und Verbreitung von Überwachungstechnologien, mit denen die Ausübung von Menschenrechten missbräuchlich beschränkt wird, entgegenwirken.“ [5]
Demokratiegipfel, Washington, 18. August 2021
Am 11. August 2021 kündigte US-Präsident Joe Biden an im Dezember 2021 einen virtuellen „Demokratie-Gipfel“ durchzuführen. Bei dem Gipfel soll über Demokratie und Menschenrechte diskutiert werden, aber auch über den Kampf gegen Korruption und Autoritarismus sowie die Nutzung und den Missbrauch des Internet. Biden will Präsidenten ausgewählter Länder sowie Vertreter von Zivilgesellschaft, der Wirtschaft und der Wissenschaft einladen. Dem virtuellen Gipfel soll 2022 ein zweiter, dann „realer“ Demokratiegipfel folgen. [6] China und Russland haben das Projekt als einen Beitrag zur Spaltung der Welt in neue Blöcke kritisiert.